Imperium
Auftauchen in dem verlassenen Hafen hatte an Bord unübersehbar große Unruhe ausgelöst. Als wir vorsichtig auf die Galeere zugingen, ertönten drei kurze Trompetensignale, die Ruder senkten sich ins Wasser, und langsam wie ein riesiger Wasserkäfer löste sich das Schiff von der Kaimauer. Es glitt ein kurzes Stück auf See hinaus und setzte den Anker. Als sich das Schiff in den Wind drehte, hüpften die grellen gelben Lampen an Bug und Heck im dunstigen Licht des Nachmittags auf und ab. Gestalten verteilten sich über das schwankende Deck. Cicero beriet sich mit Lucius und Frugi, was sie unternehmen sollten. Theoretisch gab ihnen die Vollmacht des Gerichtshofes für Erpressungen das Recht jedes Schiff zu durchsuchen, das möglicherweise mit dem Fall in Verbindung stand. In der Praxis jedoch hatten sie nicht die Mittel, und bis Verstärkung eintreffen würde, wäre das Schiff längst auf und davon. Eins wusste Cicero jetzt zweifelsfrei: Die Dimensionen von Verres ' Verbrechen sprengten alles, was er sich vorgestellt hatte. Er entschied, sofort aufzubrechen und mit doppelter Geschwindigkeit Richtung Süden zu reisen.
Ich schätze, von Velia bis Vibo, immer am Schienbein entlang bis zum Zeh Italiens, sind es etwa hundertzwanzig Meilen. Mit günstigen Winden und kräftiger Ruderarbeit schafften wir es in gerade mal zwei Tagen. Wir hielten uns immer in Sichtweite des Ufers, gingen für die eine Nacht an Land und schliefen am Strand. Aus Myrtesträuchern hackten wir Holz für ein Lagerfeuer, aus unseren Rudern und dem Segel bauten wir ein Zelt. Von Vibo reisten wir auf der Küstenstraße weiter bis Regium, und dort mieteten wir wieder ein Boot, um durch die schmale Meerenge nach Sizilien zu segeln. Es war neblig und nieselte stark, als wir frühmorgens aufbrachen. Wie ein trübseliger schwarzer Buckel tauchte die Insel in der Ferne aus dem Meer auf. Unglücklicherweise konnte man im Winter nur einen einzigen Hafen ansteuern, und das war Verres ' Hochburg Messana. Die Loyalität ihrer Bewohner hatte sich Verres mit Steuerfreiheit für seine gesamte dreijährige Amtszeit als Statthalter erkauft. Messana war die einzige Stadt auf der Insel, die eine Zusammenarbeit mit Cicero abgelehnt hatte. Während wir auf den Leuchtturm zuliefen, erkannten wir, dass das, was wir für einen großen Masten am Hafeneingang gehalten hatten, kein Teil von einem Schiff, sondern ein Kreuz war, dessen Vorderseite der Meerenge und dem Festland zugewandt war.
»Das ist neu«, sagte Cicero mit gerunzelter Stirn und wischte sich das Regenwasser aus den Augen. »Zu meiner Zeit sind da nie Hinrichtungen durchgeführt worden.«
Wir hatten keine andere Wahl, als direkt daran vorbeizusegeln. Der Anblick legte sich wie ein Schatten auf unser vom Dauerregen beschwertes Gemüt.
Trotz der allgemein feindseligen Stimmung der Bevölkerung von Messana gegenüber dem Sonderermittler hatten sich zwei tapfere Bürger der Stadt - Basiliscus und Percennius - bereitgefunden, uns ihre Gastfreundschaft anzubieten. Sie erwarteten uns am Kai. Cicero war kaum an Land gegangen, da fragte er sie nach dem Kreuz. Sie würden seine Frage später gern beantworten, entschuldigten sie sich, aber zuerst möchten sie uns lieber von hier wegschaffen. Erst als wir uns alle innerhalb der Mauern von Basiliscus ' Anwesen befanden, fühlten sie sich sicher genug, uns die Geschichte zu erzählen. Während seiner letzten Tage als Statthalter hätte sich Verres nur noch in Messana aufgehalten, damit er die Verladung seiner Diebesbeute auf das »Goldschiff« überwachen konnte, das ihm seine dankbare Stadt hätte bauen lassen. Vor etwa einem Monat sei zu seinen Ehren ein Fest veranstaltet worden, und quasi als Teil des Unterhaltungsprogramms habe man einen römischen Bürger aus dem Gefängnis geholt, auf dem Forum nackt ausgezogen, öffentlich ausgepeitscht, gefoltert und schließlich gekreuzigt.
»Einen römischen Bürger?«, wiederholte Cicero ungläubig. Er machte mir ein Zeichen, dass ich mitschreiben solle. »Es verstößt gegen das Gesetz, einen Bürger Roms ohne Prozess hinzurichten. Seid ihr sicher, dass es ein Römer war?«
»Er hat geschrien, dass er Publius Gavius heißt, dass er Kaufmann in Spanien ist und dass er Militärdienst in den Legionen geleistet hat. Während sie ihn ausgepeitscht haben, hat er nach jedem Schlag geschrien: ›Ich bin ein Bürger Roms!‹ Nach jedem Schlag.«
»›lch bin ein Bürger Roms‹«, wiederholte Cicero und ließ sich die Worte auf der
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