Imperium
Zentrum von Verres ' mörderischen Machenschaften sich hier vor Ort befand. Noch in derselben Nacht schickte er den Kurier mit einem Brief zurück nach Rom, in dem er Quintus mitteilte, dass er nur noch eine einzige Sache zu erledigen habe und die Insel in den nächsten Tagen verlassen werde.
Cicero musste jetzt schnell und unter größter Geheimhaltung handeln. Den Termin für die Durchsuchung hatte er mit Bedacht ausgewählt: Sie würde in zwei Tagen zur am wenigsten erwarteten Stunde stattfinden, kurz vor Morgengrauen an Terminalia, einem bedeutenden öffentlichen Feiertag. Die Tatsache, dass dieser Tag Terminus geweiht ist, dem alten Gott der Grenzsteine und guten Nachbarschaft, machte ihn wegen seiner Symbolkraft in Ciceros Augen noch attraktiver. Unser Gastgeber Flavius erklärte sich bereit, uns zu den Geschäftsräumen der Steuerpächter zu führen. In der Zwischenzeit ging ich in den Hafen von Syrakus und machte den gleichen vertrauenswürdigen Bootsbesitzer ausfindig, den ich schon Vorjahren für jene unbedachte Rückreise Ciceros nach Italien angeheuert hatte. Von ihm mietete ich ein Schiff samt Mannschaft und wies ihn an, am Ende der Woche reisefertig zu sein. Die Beweismittel, die wir bislang gesammelt hatten, packten wir in Truhen und verstauten diese an Bord. Das Schiff wurde rund um die Uhr bewacht.
In der Nacht vor der Durchsuchung konnte keiner von uns gut schlafen. Es war noch dunkel, als wir mit unseren gemieteten Ochsenkarren beide Zufahrten in die Straße blockierten. Auf Ciceros Signal sprangen wir aus den Wagen. Der Senator hämmerte gegen die Tür, trat, ohne auf eine Antwort zu warten, zur Seite, und zwei unserer kräftigsten Helfer machten sich mit Äxten an die Arbeit. Als die Tür nachgab, quetschten wir uns hinein, stießen den nicht mehr ganz jungen Nachtwächter zur Seite und begannen die Unterlagen abzutransportieren. Wir bildeten eine Menschenkette - Cicero inklusive - und reichten die Körbe mit den Wachstafeln und Papyrusrollen von Hand zu Hand hinaus auf die Straße und warfen sie auf die Karren.
Ich lernte eine kostbare Lektion an diesem Morgen: Wenn man auf Popularität aus ist, dann funktioniert das am besten mit einer Durchsuchungsaktion bei einem Syndikat von Steuereintreibern. Als die Sonne aufging und sich im Viertel die Nachricht von unserer Aktion verbreitete, formierte sich um uns herum eine begeisterte Ehrenwache von Bürgern. Es waren so viele, dass der Direktor der Firma, Carpinatius, der mit einem von Lucius Metellus bereitgestellten Trupp Legionäre angerückt war, das Gebäude nicht wieder in Besitz nehmen konnte. Carpinatius und Cicero lieferten sich mitten auf der Straße ein hitziges Wortgefecht. Carpinatius brüllte, dass Steuerunterlagen der Provinzen per Gesetz vor Beschlagnahmung geschützt seien, worauf Cicero erwiderte, dass seine Vollmacht des Gerichtshofes für Erpressungen Vorrang habe vor derartigen Formalitäten. Tatsächlich, gestand Cicero hinterher ein, hatte Carpinatius Recht. »Aber«, fügte er hinzu, »wer die Straße kontrolliert, kontrolliert das Recht.« Und zumindest bei dieser Gelegenheit war es Cicero gewesen, der die Straße kontrolliert hatte.
Insgesamt hatten wir etwa vier Ochsenkarren voll Unterlagen zu Flavius ' Haus transportiert. Wir verriegelten die Tore, postierten Wachen und machte uns dann an die beschwerliche Arbeit, die Akten zu durchforsten. Selbst heute noch, wenn ich an den schieren Umfang der Aufgabe zurückdenke, spüre ich, wie mir der Angstschweiß ausbricht. Die Unterlagen reichten Jahre zurück und umfassten nicht nur den gesamten staatlichen Grundbesitz in Sizilien, sondern listeten auch von jedem Bauern jedes Stück Weidevieh und dessen Qualität sowie jede Feldfrucht auf, die er jemals angebaut hatte, wie viel er angebaut hatte und welchen Ertrag die Ernte gebracht hatte. Hier fand sich alles im Detail: Pachtverträge, bezahlte Steuern, Briefwechsel. Schnell wurde klar, dass schon andere Hände diese Unmengen Material durchgegangen waren und dabei jede Spur von Verres getilgt hatten. Aus dem Palast des Statthalters traf eine Mitteilung ein, in der Cicero für morgen, wenn die Gerichte wieder tagten, zu Metellus zitiert wurde, um zu Carpinatius ' Verfugung auf Rückgabe der Dokumente Stellung zu nehmen. Inzwischen hatte sich vor dem Haus wieder eine große Menschenmenge versammelt, die laut Ciceros Namen skandierte. Ich musste an Terentias Prophezeiung denken, dass sie und ihr Ehemann aus Rom verbannt würden
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