Imperium
Verres sie beschlagnahmen lassen?«
»Ja, Senator.«
»Mit welcher Begründung?«
»Spionage.«
»Spionage, natürlich, was sonst?«, sagte Cicero zu mir. »Hat wohl jemals ein Mann so viele Spione aufgestöbert wie unser wachsamer Statthalter Verres? Weiter«, sagte er und wandte sich wieder an Vibius. »Was ist aus den Mannschaften dieser Spionageschiffe geworden?«
»Man hat sie in die Steinbrüche gebracht, Senator.«
»Und was ist da mit ihnen passiert?«
Vibius antwortete nicht.
Die Steinbrüche waren das furchterregendste Gefängnis Siziliens, wahrscheinlich der ganzen Welt - jedenfalls habe ich von keinem schlimmeren gehört. Es war auf etwa einhundertachtzig Schritten Länge und sechzig Schritten Breite in den massiven Fels gehauen und befand sich nördlich von Syrakus auf der befestigten Hochebene von Epipolae, von der man die ganze Stadt überblicken konnte. In diesem Höllenloch, aus dem kein Schrei nach außen dringen konnte, der sengenden Sommerhitze und den kalten Winterschauern schutzlos ausgeliefert, litten Verres ' Opfer sowohl unter der Grausamkeit der Wachen wie den niederen Instinkten ihrer Mitgefangenen und starben einen qualvollen Tod.
Wegen seiner allseits bekannten Abneigung gegen alles Militärische ist Cicero von seinen Feinden oft Feigheit vorgeworfen worden, und sicher hatte er nicht die stärksten Nerven und war etwas verzärtelt, aber an diesem Tag, dafür kann ich mich verbürgen, zeigte er Mut. Er ging zurück zu Flavius ' Haus und holte Lucius ab, während Frugi dort blieb und weiter die Steuerunterlagen durchforstete. Dann machten wir uns auf den Weg nach Epipolae. Mit der uns inzwischen überallhin folgenden Menge Syrakuser Bürger und lediglich bewaffnet mit unseren Spazierstöcken und Glabrios Vollmacht, stiegen wir den steilen Pfad hinauf. Wie immer waren die Nachricht von Ciceros Anmarsch und der Grund seines Kommens uns schon vorausgeeilt. Cicero drohte dem Hauptmann der Wachmannschaft in einer vernichtenden Tirade die schrecklichsten Konsequenzen an, sollte er seinen Forderungen nicht nachkommen, worauf dieser das Festungstor öffnete und uns auf das Plateau ließ. Als wir erst mal drin waren, verlangte Cicero, die Steinbrüche persönlich zu inspizieren - trotz allen Warnungen unsererseits, dass dies zu gefährlich sei.
Der riesige Kerker war schon vor über dreihundert Jahren unter der Herrschaft von Dionysios, dem Tyrannen von Syrakus, erbaut worden. Wachmänner mit brennenden Fackeln schlossen ein Eisentor auf und führten uns in einen Tunnel. Schimmel wucherte an dem glänzenden, von Kalk zerfressenen Fels, Ratten huschten im Dunkel hin und her, es stank nach Tod und Verwesung, das Schreien und Stöhnen der verlorenen Seelen war zu hören - wahrhaftig, das war der Abstieg in die Unterwelt, in den Orcus. Schließlich kamen wir zu einer zweiten eisernen Tür, und als man auch diese aufgeschlossen und die Riegel zur Seite geschoben hatte, betraten wir das eigentliche Gefängnis. Was für ein Anblick! Es war, als hatte ein Riese Hunderte gefesselter Gestalten in einen Sack gestopft und diesen dann über einem Loch ausgeleert. Das Licht war trübe, fast wie unter Wasser. Gefangene, wohin man auch schaute. Manche schlurften herum, andere standen in kleinen Gruppen zusammen, die meisten jedoch, gelblich bleiche Gerippe, lagen einfach auf dem Boden. Die Toten, die jeden Tag anfielen, waren noch nicht abtransportiert worden, aber es war ohnehin kaum möglich, die lebenden Skelette von den Toten zu unterscheiden.
Wir gingen ziellos zwischen den Körpern umher - den toten wie denen, die noch auf ihr Ende warteten, aber von den Toten nicht zu unterscheiden waren. Gelegentlich blieb Cicero stehen und fragte einen Mann nach seinem Namen, wobei er sich bücken musste, da er sonst die geflüsterte Antwort nicht verstanden hätte. Wir fanden keinen einzigen Römer, nur Sizilier. »Wer von euch ist römischer Bürger?«, rief er laut. »Ist irgendwer hier, den man von einem Schiff hierher gebracht hat?« Keine Antwort. Er drehte sich um, rief den Hauptmann der Wachen zu sich und verlangte die Gefängnisunterlagen zu sehen. Wie Vibius war auch er zwischen der Angst vor Verres und der Angst vor dem Sondererermittler hinund hergerissen, gab aber dem Druck Ciceros schließlich doch nach.
In die Felswände waren separate Zellen und Stollen geschlagen, in denen gefoltert und hingerichtet wurde und wo die Wachen aßen und schliefen. (Wie wir später feststellten, war die
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