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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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als zwanzig Jahren als Anwalt hatte man nie erlebt, dass er Notizen nötig gehabt hatte. Es bereitete ihm keine Mühe, eine vierstündige Rede auswendig zu lernen und perfekt vorzutragen, ob im Senat oder auf dem Forum. Und dieses phänomenale Erinnerungsvermögen war nicht das Ergebnis nächtelangen, stumpfsinnigen Paukens, er konnte es jederzeit aus dem Stand demonstrieren. Er besaß die beängstigende Fähigkeit, sich an alles, was seine Gegner gesagt hatten - sei es bei einer Zeugenaussage oder einem Kreuzverhör -, erinnern zu können, und er konnte es ihnen, wann immer es ihm nötig erschien, wieder an den Kopf schleudern. Er glich einem doppelt bewaffneten Gladiator, dessen Arena der Gerichtssaal war. Er attackierte mit Schwert und Dreizack, er schützte sich mit Wurfnetz und Schild. In jenem Sommer war er vierundvierzig Jahre alt und lebte mit seiner Frau und seinen beiden halbwüchsigen Kindern, einem Sohn und einer Tochter, auf dem Palatin in einem exquisit eingerichteten Haus direkt neben seinem Schwager Catulus. Exquisit - das war das auf Hortensius zutreffende Wort: exquisite Umgangsformen, exquisit gekleidet, frisiert, parfümiert, exquisit in seinem Geschmack bei allen schönen Dingen. Nie kam ihm ein grobes Wort über die Lippen. Aber er hatte ein gewohnheitsmäßiges Laster, und das war seine Gier, die ungeheuerliche Ausmaße angenommen hatte: der Palast in der Bucht von Neapel; der Privatzoo; der Keller, in dem zehntausend Fässer mit erlesenen Weinen lagerten; das Gemälde von Cydias, das er für hundertfünfzigtausend Sesterzen gekauft hatte; die mit Juwelen behängten Aale in seinem Fischteich; die Bäume, die er mit Wein besprengen ließ; er war der Erste, der seinen Gästen Pfau servieren ließ - alle Welt kannte die Geschichten. Diese Extravaganz hatte ihn in die Verbindung mit Verres getrieben, der ihn seitdem mit gestohlenen Geschenken überschüttete - das bekannteste war eine unschätzbar wertvolle, aus einem einzigen Stück Elfenbein geschnitzte Sphinx - und der außerdem seinen Wahlkampf für das Konsulat finanzierte.
    Die Konsulatswahl war für den siebenundzwanzigsten Juli festgesetzt worden. Am dreiundzwanzigsten sprachen die Geschworenen des Gerichtshofes für Erpressungen den ehemaligen Statthalter von Achaea von allen Anklagepunkten frei. Cicero, der sich von der Arbeit an seiner Eröffnungsrede losgerissen hatte und in den Senat geeilt war, um das Urteil der Geschworenen zu hören, registrierte teilnahmslos, dass Glabrio den Beginn der Anhörungen im Fall Verres auf den fünften August festsetzte. »Ich gehe davon aus, dass deine Ausruhrungen dann etwas knapper ausfallen werden«, sagte er zu Hortensius, der diese Bemerkung mit einem blasierten Grinsen quittierte. Jetzt mussten nur noch die Geschworenen ausgewählt werden, was am folgenden Tag erledigt wurde. Das Gesetz sah vor, dass zweiunddreißig durch das Los zu bestimmende Senatoren als Geschworene fungierten. Jede Seite war berechtigt, sechs davon abzulehnen. Doch selbst als Cicero sein Kontingent aufgebraucht hatte, sah er sich immer noch einer beängstigenden Anzahl feindseliger Geschworener gegenüber, zu denen einmal mehr Catulus und dessen Schützling Catilina gehörten wie auch der andere große alte Mann des Senats, Servilius Vatia Isauricus, und zu allem Überfluss Marcus Metellus. Außer diesen verknöcherten Aristokraten konnten wir auch Zyniker wie Aemilius Alba, Marcus Lucretius und Antonius Hybrida von vornherein abschreiben, da die ihre Stimme unweigerlich an den höchsten Bieter verscherbeln würden - und Verres war nach wie vor sehr freigebig. Ich glaube, erst an jenem Tag, als ich nach der Vereidigung der Geschworenen Hortensius ' Gesicht gesehen habe, ist mir die wahre Bedeutung der alten Redensart »grinsen wie ein Honigkuchenpferd« aufgegangen. Ihm würde alles in den Schoß fallen: das Konsulat und obendrein - dessen war er sich nun auch sicher - der Freispruch für Verres.
    Die folgenden Tage waren die nervenaufreibendsten, die Cicero als Person des öffentlichen Lebens je durchgemacht hatte. Am Morgen der Konsulatswahlen war er so mutlos, dass er sich kaum aufraffen konnte, zur Stimmabgabe aufs Marsfeld zu gehen. Aber natürlich musste er sich den Menschen als aktiver Bürger zeigen. Schon beim ersten Trompetenstoß und dem Hissen der rote Flagge über dem Janiculum-Hügel war es keine Frage, wer die Wahl gewinnen würde. Hortensius und Quintus Metellus wurden von Verres und seinem Gold, von den

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