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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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verschränkte die Arme und schaute wütend auf den Boden, während Cicero sich wieder den Geschworenen zuwandte und seine einleitende Rede beendete.
    »Auf uns schauen heute die Augen der Welt und wachen darüber, ob jeder Einzelne von uns sich so verhält, wie sein Gewissen und das Gesetz es befehlen. So wie ihr über den Angeklagten zu Gericht sitzt, so sitzt das Volk von Rom über euch zu Gericht. Weil alle Welt weiß, dass Verres sich durch nichts auszeichnet als durch seine monströsen Verbrechen und seinen gewaltigen Reichtum, entscheidet dieser Fall darüber, ob es möglich ist, dass ein aus Senatoren zusammengesetztes Gericht einen bis ins Mark schuldigen, aber auch steinreichen Mann verurteilen kann. Und deshalb könnten die Schlussfolgerungen, die aus einem Freispruch zu ziehen wären, nur die beschämendsten sein. Deshalb rate ich euch, ehrenwerte Pächter, es schon aus eigenem Interesse nicht dazu kommen zu lassen.« Nach diesen Worten wandte er den Geschworenen den Rücken zu. »Ich rufe meinen ersten Zeugen auf: Sthenius aus Thermae.«
    Ich möchte stark bezweifeln, dass auch nur einer der Aristokraten auf der Geschworenenbank - ob Catulus, Isauricus, Metellus, Catilina, Lucretius, Aemilius oder einer der anderen - sich jemals derart anmaßende Worte hatte anhören müssen. Vor allem von einem homo novus, der in seinem Atrium nicht eine einzige Maske eines Vorfahren an der Wand hängen hatte. Wie groß muss ihr Hass gewesen sein, dass sie einfach so dasitzen und das über sich ergehen lassen mussten, und um wie viel größer muss er gewesen sein, als Cicero sich unter den geradezu ekstatischen Jubelstürmen der Menschen auf dem Forum wieder auf seinen Platz setzte. Hortensius konnte einem fast leidtun. Seine gesamte Karriere fußte auf der Fähigkeit, gewaltige Reden auswendig zu lernen und dann mit dem selbstsicheren Gestus eines Schauspielers vortragen zu können. Und nun hatte man ihm per Gesetz den Mund gestopft; noch schlimmer: Er sah zehn langen Tagen entgegen, an denen er auf Ciceros Zeugenbefragungen mit vierzig oder fünfzig Minireden würde antworten müssen. Und auf diese war er nicht einmal im Ansatz ausreichend vorbereitet, was auf grausame Weise offenbar wurde, als Sthenius in den Zeugenstand trat. Als Zeichen des Respekts vor dem Urheber des wahnwitzigen Unternehmens hatte Cicero ihn als Ersten aufgerufen. Und der Sizilier ließ ihn nicht im Stich. Er hatte so lange auf seinen Tag gewartet, dass er jetzt das Beste aus sich herausholte und auf herzzerreißende Weise schilderte, wie Verres seine Gastfreundschaft missbraucht und ihn ausgeplündert hatte, wie er Anschuldigungen gegen ihn erfunden und ihn mit Strafen überzogen hatte, wie er versucht hatte, ihn zu Tode peitschen zu lassen, wie er ihn in Abwesenheit zum Tode verurteilt und dann die Akten des Gerichts von Syrakus gefälscht hatte - Akten, die Cicero als Beweismittel präsentierte und auf der Geschworenenbank herumgehen ließ.
    Als Glabrio Hortensius aufrief, den Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen, kam der »Tanzmeister« dieser Aufforderung verständlicherweise nur zögernd nach. Die goldene Regel des Kreuzverhörs ist nämlich die, niemals, unter keinen Umständen, eine Frage zu stellen, auf die der Fragende die Antwort nicht im Voraus kennt, und Hortensius hatte schlicht keine Ahnung, was Sthenius ihm antworten würde. Er blätterte ratlos in seinen Unterlagen, besprach sich im Flüsterton kurz mit Verres und ging dann zum Zeugenstand. Was sollte er tun? Nach ein paar ungeduldigen Fragen, die andeuten sollten, dass der Sizilier dem römischen Rechtssystem ganz generell feindlich gesinnt war, fragte er ihn, warum er angesichts der vielen infrage kommenden Anwälte direkt zu Cicero gegangen sei - einem Mann, dem man allgemein als Agitator für die Interessen der unteren Schichten kenne. Offenbar habe er mit seinen Anschuldigungen von Anfang an nichts weiter im Sinn gehabt, als Unruhe zu stiften.
    »Aber ich bin nicht direkt zu Cicero gegangen«, antwortete Sthenius auf seine unnachahmliche Art. »Der erste Rechtsanwalt, den ich aufgesucht habe, warst du.«
    Sogar einige der Geschworenen konnten sich ein Lachen nicht verkneifen.
    Hortensius schluckte und versuchte es ebenfalls auf die heitere Art. »Ach ja, wirklich? Ich kann mich gar nicht an dich erinnern.«
    »Das wundert mich nicht im Geringsten. Du bist ein beschäftigter Mann, Senator. Dafür erinnere ich mich umso genauer. Du hast gesagt, dass du schon Verres ' Vertretung

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