Imperium
denn rufen, außer dass du ein Bürger Roms seist? Und Gavius, den du gar nicht schnell genug zum Tode befördern konntest? Hat ihm die Berufung auf sein Bürgerrecht auch nur eine Stunde oder einen Tag Aufschub beschert, damit man die Wahrheit seiner Behauptung überprüfe? Nein, nicht mit dir auf der Richterbank. Noch der ärmste Mann von niederster Abstammung, egal, in welch rückständigem Land er sich auch aufhielt, hatte bis zum heutigen Tag immer die Gewissheit, dass ihm der Satz ›Ich bin ein Bürger Roms« als letzte Verteidigung, als letzte Zuflucht dienen würde. Es war nicht Gavius, nicht irgendein unbedeutender Mann, den du an dieses Kreuz der Qualen genagelt hast: Es war das allgemeingültige Prinzip, dass ein Römer ein freier Mensch ist.«
Der donnernde Beifallssturm, der nach den letzten Worten von Ciceros flammender Rede aufbrandete, war furchterregend. Und er ebbte nach wenigen Augenblicken nicht etwa ab, sondern er schaukelte sich immer weiter auf, wurde immer lauter und schriller. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, dass die Menschenmenge an den Rändern des Forums in Bewegung geriet, dass sie sich auf uns zubewegte. Ich hörte ein krachendes Geräusch und sah, wie die Baldachine, unter denen viele Zuschauer Schutz vor der Sonne gesucht hatten, zusammenbrachen. Ein Mann fiel von einem Balkon und verschwand zwischen den Menschen, die darunter standen. Schreie waren zu hören. Ein wütender Mob stürmte die Stufen zum Podium des Gerichts hinauf. Hortensius und Verres sprangen in ihrer Panik so schnell auf, dass ihre Bank nach hinten umkippte. Ich hörte Glabrios kreischende Stimme. Er erklärte die Sitzung für geschlossen und eilte dann zusammen mit seinen Liktoren die restlichen Stufen zum Tempel hinauf. Dicht dahinter gaben der im Laufschritt folgende Angeklagte und sein vornehmer Anwalt ein wenig würdevolles Bild ab. Auch einige der Geschworenen suchten Schutz in den Mauern des heiligen Gebäudes. Nicht so Catulus: Ich erinnere mich noch genau an seine wie ein scharfkantiger Felsen aufragende Gestalt. Mit starrem Blick schaute er geradeaus, während sich der Menschenstrom vor ihm teilte und um ihn herumschwappte. Die schweren Bronzetüren des Tempels wurden verriegelt. Cicero unternahm einen Versuch, die Ordnung wiederherzustellen. Er stieg auf seinen Stuhl und gestikulierte beruhigend mit den Armen, wurde aber von vier oder fünf ziemlich verwegen aussehenden Burschen an den Beinen gepackt und hochgehoben. Ich fürchtete um meine wie um seine Sicherheit, doch er breitete nur die Arme aus, als wollte er die ganze Welt umarmen. Die Burschen drehten sich mit Cicero auf den Schultern um und präsentierten ihn der Menge. Der Jubelsturm blies uns ins Gesicht, als hätte man die Tür eines Ofens geöffnet. »Ci-ce-ro! Cice-ro! Ci-ce-ro!« Die Sprechchöre erfüllten den Himmel über Rom.
Das war das Ende von Gaius Verres. Wir erführen nie, was genau sich im Innern des Tempels abgespielte, nachdem Glabrio die Sitzung unterbrochen hatte. Cicero glaubte, dass Hortensius und Metellus ihrem Klienten klarmachten, dass eine Fortsetzung der Verteidigung sinnlos sei. Ihr eigenes Ansehen, ihre eigene Autorität hatten schwer gelitten: Sie mussten Verres loswerden, bevor er dem Ruf des Senats noch weiteren Schaden zufügen konnte. Es spielte keine Rolle mehr, mit welch irrwitzigen Summen er die Geschworenen bestochen hatte - keiner von ihnen würde es nach den gerade erlebten Szenen noch wagen, für einen Freispruch zu stimmen. Wie auch immer. Nachdem sich der Mob zerstreut hatte, stahl sich Verres aus dem Tempel und floh - manche sagen, als Frau verkleidet - bei Einbruch der Nacht aus der Stadt. Sein Ziel war Massilia im Süden Galliens, ein traditioneller Fluchtpunkt für die Exilanten aus Rom. Dort tauschten sie dann zu gegrillter Seebarbe ihre weinerlichen Geschichten aus und konnten sich vormachen, sie säßen in der Bucht von Neapel.
Jetzt blieb nur noch zu klären, wie hoch die Geldstrafe sein sollte, die man von Verres zu fordern gedachte. Als Cicero an diesem Tag nach Hause zurückkehrte, berief er eine Besprechung ein, um über die angemessene Summe zu diskutieren. Den genauen Wert dessen, was sich Verres während seiner Sizilien-Jahre ergaunert hat, wird man nie erfahren. Mir waren Schätzungen zu Ohren gekommen, die von vierzig Millionen Sesterzen sprachen. Lucius favorisierte wie immer den radikalsten Kurs: die Beschlagnahme von Verres ' gesamtem Vermögen. Quintus hielt eine
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