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Implantiert

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Titel: Implantiert Kostenlos Bücher Online Lesen
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Intensität nachgelassen, doch noch immer peitschte der Wind den Pulverschnee über die Insel und türmte anderthalb Meter hohe Schneewehen auf die eisbedeckten Felsen. Colding stand auf der weitläufigen hinteren Veranda und starrte auf das Wasser hinaus. Clayton war damit beschäftigt, den Schnee von der Veranda zu schippen und Salz auf das über einen Zentimeter dicke Eis zu streuen, das sich in der Nacht gebildet hatte.
    Colding hatte nur wenig geschlafen. Noch immer schmutzig davon, dass er Jian unter die Erde gebracht hatte, war er in seinem Zimmer geblieben. Er hatte sich auf den dicken Teppich gesetzt und zum Fenster hinausgestarrt, das im Sturm zitterte und ihm nichts als die Schwärze der Nacht zeigte. Saß da und hatte an all die Menschen gedacht, die er im Stich gelassen hatte. Clarissa, Erika, Jian. Und, wenn die C-5 es nicht geschafft hatte, Sara. Das Nächste, woran er sich erinnern konnte, war, dass er noch immer vollständig bekleidet auf dem Fußboden erwacht war. Er hatte sich weder die Mühe gemacht, zu duschen noch sich umzuziehen. Er hatte nur Jacke, Stiefel und Hut übergestreift und war hinaus auf die Veranda getreten.
    Jedes Mal, wenn Clayton die Schaufel senkte, klang es, als schramme ein Streifen Blech über zerbrochenes Glas. Der alte Mann arbeitete zügig, mit wachen Augen, und kleine Atemwölkchen bildeten sich vor seinem von Bartstoppeln umgebenen Mund.
    Schließlich hielt er inne und stützte sich auf die Schaufel. Seine Brust hob und senkte sich. »Eine raue Nacht, eh?«

    »Ja«, sagte Colding. »Das Leben hier setzt einem wirklich zu.«
    »Ach was, Sie hätten ’68 hier sein sollen, eh? Damals war es im Dezember so kalt, dass der Hafen zugefroren ist. Wir mussten das Eis mit Dynamit wegsprengen, damit die Boote anlegen konnten. Das war das Jahr, als Paul Newman beim Eisfischen ins Wasser gefallen ist. Ich und Charlie Heston mussten ihn zurück ans Ufer schleppen.«
    Clayton verstummte für einen Augenblick. »Sie machen sich wirklich Sorgen wegen Sara, eh?«
    »Ja«, sagte Colding. »So ist es.«
    »Ziemlich bescheuert, sie bei diesem Sturm loszuschicken. « Die Worte waren typisch für den alten Mann, der Tonfall allerdings nicht. Es klang nicht wie eine Beleidigung, sondern nach … Bedauern.
    Clayton hob die Schaufel und machte sich wieder an die Arbeit, und erneut erfüllte das Geräusch von Blech auf Glas die Luft. »Wann, glauben Sie, hören Sie wieder von ihnen?«
    Colding zuckte mit den Schultern. Sie sollten eigentlich schon in Manitoba sein. Sie sollten dort sein, doch bisher gab es noch keine Nachricht von ihnen – jedenfalls keine, die Magnus ihm mitgeteilt hätte.
    Noch zweimal kratzte Clayton den Schnee weg, dann lehnte er die Schaufel gegen die Wand des Landhauses. Er griff nach dem Salzeimer und streute das Granulat auf das soeben freigelegte Eis. Schließlich öffnete er die Glastür zur Lounge, blieb jedoch plötzlich stehen, drehte sich um und fixierte Colding mit festem Blick.
    »Da ist etwas, das ich wissen will«, sagte Clayton. »Sagen Sie mir die Wahrheit. Vögeln Sie das Mädchen nur, oder lieben Sie sie?«

    Die Frage vergrößerte Coldings Elend und sein Gefühl der Machtlosigkeit nur noch mehr. Er spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, doch diesmal waren es Tränen der Enttäuschung, vielleicht sogar Tränen der Wut.
    »Ich liebe sie.«
    Clayton nickte, zog einen Handschuh aus und wischte sich über den Mund. »Hab ich mir gedacht. Wenn Sie was brauchen, geben Sie mir Bescheid. Ich habe auf dieser Insel jede Menge Scheiße kommen und gehen sehen. Irgendwas stimmt hier nicht, das spüre ich.« Er klopfte sich den Schnee von den Stiefeln. »Etwas stimmt ganz und gar nicht, eh? Und über kurz oder lang werden wir uns auf die eine oder andere Art darum kümmern müssen.«
    Clayton ging ins Haus, schloss die Tür hinter sich und ließ Colding in der kühlen Morgenluft zurück, der sich fragte, was Clayton damit gemeint hatte.

1. Dezember, 7:15 Uhr
    Hatte sie auf einem Bett aus stumpfen Nägeln geschlafen? Jede Zelle ihres Körpers schmerzte, pulsierte, kreischte und jammerte. Sie roch nach Schweiß und schmutzigem Heu, und beides verband sich mit dem unverwechselbaren Geruch von Kühen und Kuhscheiße, so dass sogar ihre Nase etwas fand, über das sie sich beklagen konnte.
    Sara drückte sich auf einen Ellbogen hoch. Sie wollte schlafen, tagelang, sogar wochenlang, aber sie musste etwas tun. Sie sah Tim Feely an – plötzlich lohnte sich der ganze

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