Implantiert
Schmerz.
Er saß auf seinem Hintern, hatte die Knie gegen die Brust
gedrückt, den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen. Er schwankte leicht hin und her.
»Tim?« Ihr Hals war so trocken, dass sie nur ein Krächzen zustande brachte. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er sah auf. Eine große rote und purpurfarbene Prellung zog sich vom Haaransatz bis zum Kinn über die rechte Seite seines Gesichts. Getrocknetes Blut bedeckte die schwarze Naht auf seiner Stirn. Beide Augen waren von dunklen Ringen umgeben.
»Verdammt weit davon entfernt, bei mir ist so gut wie nichts in Ordnung«, sagte Tim. »Wie lange war ich bewusstlos?«
Sara holte tief Luft. Dann erzählte sie Tim mit knappen Worten alles, was sie wusste – Jians Tod, Colding, der gewollt hatte, dass das Flugzeug trotz des Sturms startete, Magnus’ Bombe, die Notlandung und der mühsame Weg bis zu Svens Scheune.
Tim schwieg einen Augenblick, hörte sich alles an. Vorsichtig rieb er sich über das geschwollene Knie. »Dann sind also alle tot, außer dir und mir. Und auch ich wäre tot, hättest du meinen Arsch nicht meilenweit durch einen Blizzard geschleift?«
Sara nickte.
»Danke«, sagte Tim. Er hätte es nicht einfacher ausdrücken können, doch sein von Dankbarkeit und schierer Verwunderung erfüllter Blick sprach Bände. »Das hört sich so an, als hätte Rhumkorrf die Sache wirklich absolut vermasselt. Ich hoffe, er ist tot.«
Sara hoffte es auch. Rhumkorrfs Aktionen hatten zum Tod ihrer Freunde geführt. »Ich hab’s unmittelbar vor der Explosion nach draußen geschafft«, sagte sie. »Sonst habe ich niemanden gesehen.«
Sie sah sich zum ersten Mal genauer in der Scheune um. An sich nichts Ungewöhnliches: ein viereinhalb Meter breiter Mittelgang, der so groß war, dass man mit einem Farmtraktor hindurchfahren konnte. Jeweils fünfundzwanzig Boxen auf jeder Seite. Ein gut gefüllter Heuboden über jeder Boxenreihe, und über allem ein hohes, gewölbtes Dach, das von dicken Holzbalken getragen wurde. Ein paar kleine Vögel flatterten dort oben herum, ihr zartes Zwitschern verlieh ihrer düsteren Lage eine seltsam optimistische Note. Aus den meisten Boxen ragten große Kuhköpfe, die arglosen schwarzen Augen starrten neugierig zu den auf dem Boden liegenden Fremden hinüber. In der ersten Box auf der linken Seite des großen Schiebetors befand sich keine Kuh, sondern ein brandneues Arctic-Cat-Schneemobil. Auch kein richtiger Trost: Zwar konnten sie damit Svens Scheune verlassen – doch wo sollten sie hin?
»Wir können nicht hierbleiben, Tim. Was macht dein Knie?«
»Das ist völlig im Arsch. Gut möglich, dass die Kniescheibe gebrochen ist. Auf jeden Fall kann ich es nicht belasten.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin fast draufgegangen, als ich deinen Arsch hierhergeschleppt habe. Du kommst mit mir, und du wirst laufen. Ich helfe dir, aber du kommst mit mir.«
»Und was ist mit dem Sturm? Hier drinnen ist es warm.«
»Viel Wind höre ich nicht mehr, also dürfte der Sturm vorbei sein. Das bedeutet, dass Sven schon bald hierherkommen wird, um nach den Kühen zu sehen.«
»Aber das wollen wir doch gerade, oder? Wir brauchen Hilfe. Ich bin verletzt. Ich brauche einen Arzt.«
Sara rieb sich die Augen. Nur ein Überlebender außer ihr. Warum konnte es nicht Alonzo oder einer der beiden Zwillinge
sein, jemand, der Mumm hatte. Aber es war ausgerechnet dieser Waschlappen. »Tim, hör mir zu. Wenn Magnus herausfindet, dass wir noch am Leben sind, wird er nach uns suchen. Wir sind immer noch viel zu nahe beim Flugzeug. Wir müssen von hier verschwinden und versuchen, Colding zu finden. Vielleicht können wir das Schneemobil nehmen.«
Tim musterte das Arctic Cat, aber in Gedanken war er anscheinend schon weiter. »Aber es war doch Colding, der uns befohlen hat, zu fliegen. Wie kannst du ihm noch vertrauen?«
Sara holte tief Luft. Sie konnte Colding nicht vertrauen. Aber die Nächte, die sie zusammen verbracht hatten, die Dinge, die er ihr gesagt hatte … zumindest war das Risiko bei ihm nicht so groß wie bei Gunther oder Andy oder gar Clayton. »Ich weiß nicht, ob wir ihm trauen können.«
Das von draußen kommende Bellen eines Hundes ließ sie erstarren.
Das Scheunentor glitt einen Spalt weit auf. Sara packte Tim bei der Hand und zog ihn in eine Box, als das Tor noch ein wenig weiter geöffnet wurde und die morgendliche Wintersonne ein strahlendes goldenes Rechteck auf den Boden der Scheune warf.
Sven Ballantine lehnte sich zum
Weitere Kostenlose Bücher