Implantiert
wieder senkte, umklammerten ihre Finger dichte schwarze Haarbüschel.
Colding packte sie bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Jian, stopp!«
Sie starrte ihn mit angsterfüllt weit aufgerissenen Augen an. Es war, als fürchte sie sich vor ihm, als hielte sie ihn für jemand anderen. Oder für etwas anderes. Noch einmal riss sie sich mit beiden Händen büschelweise das Haar aus, dann stieß sie Colding heftig gegen die Brust. Der Stoß kam völlig überraschend. Er versuchte, das Gleichgewicht zu bewahren, doch sein Fuß verfing sich in Rhumkorrfs Hocker und warf ihn um, beide Männer fielen auf das gummiüberzogene Deck.
Jian rannte los. Sie verschwand über die offene Heckrampe, ihre schweren Schritte hämmerten in einem dröhnenden Rhythmus über das Metall.
Rhumkorrf, der sich als überraschend gelenkig erwies, stand als Erster wieder. Er half Colding auf die Beine. »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
»Mir geht’s gut, Doc, aber versuchen Sie mir bloß nicht einzureden, dass das, was ich gerade gesehen habe, normal war.«
»Es war wahrscheinlich nur ein Reflex, der – «
»Sind Sie jetzt völlig durchgeknallt?«, sagte Tim. »Sie sollten Ihren Einführungskurs in Biologie nachholen, Doktor Rhumkorrf.«
Colding ließ die beiden stehen und sprintete an mehreren Reihen friedfertiger Kühe vorbei, die stumm in ihren Plexiglasboxen hockten. Er rannte die Heckrampe hinunter.
»Jian, warten Sie!«
Sie blieb nicht stehen, sondern hielt weiter auf das Hangartor zu. Ihre üppigen Fettpolster zitterten im Rhythmus ihres panischen Watschelns. Colding holte sie ein, kurz bevor sie das Tor erreichte. Sie drehte sich um und versuchte, ihn wegzustoßen, doch er packte sie bei den Handgelenken. Sie wehrte sich noch einen Augenblick, doch er hielt sie mit
festem Griff. Sie starrte ihn aus großen Augen an, ohne ihn zu erkennen.
»Ganz ruhig«, redete Colding auf sie ein. »Ganz ruhig, Jian.«
Sie blinzelte mehrmals rasch hintereinander, langsam schien ihr Blick wieder klarer zu werden. Sie fiel nach vorn in seine Arme. Überrascht von der plötzlichen Bewegung und ihrem Gewicht, musste er mit einem Schritt nach hinten für sicheren Stand sorgen, doch es gelang ihm, sie zu stützen. Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihren Kopf an seine Brust. Sie zitterte am ganzen Leib.
16. November: Autopsie
Implantation + 7 Tage
Rhumkorrf seufzte, als er den Fötus betrachtete, der zusammengekrümmt auf dem Sektionstisch lag. Die Kreatur hatte die Fruchtblase aufgerissen, um an die winzige Kamera zu gelangen, wodurch sich die zum Überleben notwendige Flüssigkeit nach außen ergossen hatte. Das Wesen war kurz darauf gestorben.
Von nun an würden sie nicht mehr mit einer faseroptischen Kamera arbeiten, sondern sich auf das 3-D-Ultraschallgerät beschränken, damit sich der Vorfall nicht wiederholte. Weitere Ultraschallaufnahmen der Herde hatten gezeigt, dass jede Kuh jetzt nur noch einen Fötus in sich trug. Sämtliche zweiten und dritten Föten waren verschwunden.
Als er den katzengroßen Kadaver auf dem Autopsietisch
vor sich musterte, fiel es ihm schwer zu glauben, dass die Kreatur nicht einmal eine Woche alt war. Ein Säugetier entwickelte sich nicht in einem solchen Tempo. Alle paar Sekunden schoss ihm das Wort unmöglich durch den Kopf, doch die Fakten hatte er vor sich auf dem Tisch.
Er legte den kleinen Leichnam auf eine Waage. Knapp neunzehn Pfund. In nur sechs Tagen. Warum war er nur so überrascht? Schon seit den frühesten Planungsstadien bemühten sie sich um ein dramatisch beschleunigtes Wachstum. Genau das war der Grund, warum er überhaupt nach jemandem wie Jian gesucht hatte.
Er hatte ihre Forschungsberichte gelesen, und ihm war klargeworden, dass sie theoretisch ein künstliches Genom schaffen und so lange digital damit experimentieren konnte, bis es möglich wäre, die normale Wachstumsrate zu verändern. Als er Jians zweite oder dritte Arbeit gelesen hatte – er wusste nicht mehr genau, welche es gewesen war –, entstand das gesamte Ancestor-Projekt, mit dem sie versuchen würden, den Stammvater aller Säugetiere zu schaffen, in einem einzigen brillanten Geistesblitz vor seinem geistigen Auge. Seine Erfahrungen beim Klonen des Quagga, die immer weiter gestiegene Rechenleistung moderner Computer und die Fortschritte der Oligo-Maschinen – alles fügte sich plötzlich zusammen, und er erkannte seine Bestimmung. Die einzelnen Teile existierten, die benötigte Technologie ging nur
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