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In aller Unschuld Thriller

In aller Unschuld Thriller

Titel: In aller Unschuld Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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eigenen Leib erfahren, was es bedeutete, zum Opfer gemacht zu werden, sich hilflos und voller Angst zu fühlen.
    Früher war er kein gewalttätiger Mensch gewesen, aber seit den Haas-Morden war auch das anders geworden. Er merkte, dass er die Vorstellung genoss, Carey Moore zu schlagen, seine Wut und Frustration an ihr auszulassen. Und dass sie für diese Lust, die so völlig seinem früheren Wesen widersprach, verantwortlich war, verdoppelte seine Wut und seine Frustration noch.
    Gedanken dieser Art gingen Stan durch den Kopf, während er versuchte, die frische Packung Früchtemüsli zu öffnen. Er schaffte es einfach nicht, den Deckel aufzukriegen. Seine Fingernägel waren so weit abgekaut, dass er sie einfach nicht darunter schieben konnte.
    Er spürte das Pochen in seinem Schädel. Er konnte es in seinen Ohren hören, ein Brüllen, das klang, als brandete das Meer gegen seine Schädeldecke. Er spürte, wie der Druck immer weiter stieg.
    Das Fernsehen zeigte das Haus der Richterin am Lake of the Isles. Ein Schloss, hinter dessen Ziegelmauern die Prinzessin geschützt lebte, zusätzlich gesichert durch eine Alarmanlage. Sie hatte wahrscheinlich geglaubt, dass die Karl Dahls dieser Welt niemals an sie herankämen.
    Die Schachtel gab und gab nicht nach. Stan versuchte zuerst, sie aufzureißen, dann einen Finger hineinzubohren. Dabei glitt sie ihm aus der Hand. Als er sich bückte, um sie aufzuheben, stieg der Druck in seinem Kopf so sehr an, dass er beinahe ohnmächtig wurde.
    Vor Wut schäumend, schmiss er die Schachtel auf den Tisch, packte ein Messer und fing an, auf sie einzustechen. Er stieß mit solcher Kraft zu, dass die Messerspitze in die Resopaloberfläche des Tisches drang. Wie aus weiter Ferne hörte er einen Laut aus seinem Inneren entweichen, ein rohes, animalisches Grollen, das aus den tiefsten Tiefen kam, zu denen er keinen Zugang hatte.
    Der Inhalt der Schachtel wurde in der ganzen Küche verstreut. Er stieß den Milchkarton um, und Milch spritzte heraus. Als er versuchte, das Messer, das in der Tischplatte steckte, herauszuziehen, schnitt er sich in die Hand. Er packte die Zuckerdose und warf sie auf den Boden. In hohem Bogen verteilte sich der Zucker in alle Richtungen, bevor die Dose zerbarst.
    Alles nur wegen Carey Moore.
    Alles nur wegen dieser laxen Gefängnisaufseher.
    Alles nur wegen Karl Dahl.
    Sein Leben war völlig aus den Fugen geraten, und das alles nur wegen irgendwelcher Leute, die sich einen Dreck um ihn scherten. Sein Leben war ein Nichts. Alles, was er in seinem Leben Gutes getan hatte, bedeutete nichts.
    Er umklammerte seinen Kopf, und die Tränen strömten ihm die Wangen herunter. Stan Dempsey sank auf den Küchenboden und saß dort mit dem Rücken gegen den Schrank gelehnt, den Mund wie zu einem lauten Schrei geöffnet. Aber kein Laut drang aus seiner Kehle, und selbst wenn – es wäre niemand da gewesen, der ihn gehört hätte.
    Dahl war in der Nacht neben dem Penner immer wieder kurz eingeschlafen, nur um beim geringsten Laut, der in der Gasse zu hören war, hochzuschrecken. Dann setzte er sich auf und lauschte. Er vertrieb sich die Zeit damit, geistesabwesend mit dem Steakmesser, das er in dem Einkaufswagen gefunden hatte, lange Strähnen des verfilzten Haares vom Kopf des Toten abzusäbeln.
    Der Streifenwagen war nicht zurückgekommen. Niemand hatte nach dem Toten unter der Treppe gesehen.
    Mit der Nacht war die Anonymität gekommen. Inzwischen wurde es wieder Tag, und in seinem Gefolge kam die Angst, dass er entdeckt werden könnte. Aber die Leute würden durch ihn hindurchsehen, nicht sehen, wer er war, sondern nur das, was er war. Sie würden ihn ignorieren, als einen, der ihrer Aufmerksamkeit nicht wert war. Sie hatten Wichtigeres im Kopf – schließlich lief ein des dreifachen Mordes Verdächtiger durch die Straßen.
    Dahl wusste, dass er etwas unternehmen musste und langsam ein wenig Distanz zwischen sich und das Krankenhaus sowie zwischen sich und den Toten unter der Treppe bringen sollte.
    Aber zuerst einmal musste er pinkeln, und dann musste er sich etwas zu trinken besorgen. Sein Hals tat ihm immer noch weh. Er fühlte sich völlig zugeschwollen an. Irgendetwas mit seinem Kehlkopf stimmte nicht, und er konnte kaum schlucken. Und das Pochen in seinem malträtierten Schädel brachte ihn schier um.
    Langsam kroch er auf Händen und Füßen unter den Stufen hervor und richtete sich stöhnend auf. Ein rostiger alter Laster, dessen blaue Farbe abzublättern begann,

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