In aller Unschuld Thriller
sich selbst oder für eine seiner kleinen Freundinnen. Ich habe heute Morgen bei der Firma angerufen und mich als Davids neue Buchhalterin ausgegeben. Ich sagte, ich bräuchte eine Information. Der letzte Buchhalter hätte ein fürchterliches Chaos hinterlassen. Ob sie mir vielleicht aus der Klemme helfen könnten? Ich bräuchte nur die Adresse der Wohnung.«
»Und sie haben sie Ihnen gegeben«, sagte Kovac.
Carey nickte.
Als Nächstes betrachtete Kovac die Kopie der Notiz über die fünfundzwanzigtausend Dollar. »Was ist das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. »Das lag heute Morgen in seinem Papierkorb.«
»Sieht nach einem bezahlten Auftrag aus«, sagte er.
»Das wissen Sie nicht. Es könnte sonst was bedeuten. Eine Schuld. Irgendetwas, das mit seinem Geschäft zu tun hat. Er hat davon gesprochen, ein Boot zu kaufen.«
Jedes Wort, das sie sagte, klang wie eine Entschuldigung. Sie wusste, was sie an Kovacs Stelle gedacht hätte.
»Im Oktober?«, fragte Kovac. »Wer kauft denn so kurz vor dem Winter ein Boot?«
Carey gab ihm keine Antwort.
»Carey …«
»Man versteht einiges von dem, was David tut, nicht«, sagte sie leise, den Blick auf die Schreibtischplatte gerichtet. »Aber ich kann nicht glauben, dass er zu dem fähig ist, was Sie andeuten.«
»Bevor Sie diese Belege hier gefunden haben, hätten Sie da geglaubt, dass er ein Doppelleben führt? Dass er zu Prostituierten geht, sobald Sie ihm den Rücken kehren? Dass er zu diesen Gelegenheiten Ihren Mädchennamen benutzt?«
Sie sah ihn an, verwirrt und verletzt.
»Das haben Sie nicht gewusst«, sagte Kovac sanft. »Was wissen Sie sonst noch alles nicht von ihm?«
Was sollte sie sagen? Sie war mit einem Fremden verheiratet.
»Es war nicht immer so«, sagte sie endlich, weil sie das Gefühl hatte, sich dafür rechtfertigen zu müssen, dass sie an dieser Ehe festgehalten hatte. »Wir haben uns einmal geliebt. In den letzten Jahren haben wir uns auseinandergelebt. David ist immer verbitterter und unglücklicher geworden. Ich wollte es nicht wahrhaben, ich wollte glauben, dass seine Enttäuschung von dem ausbleibenden Erfolg herrührte. Ich habe ihm keine Vorwürfe gemacht, weil ich wusste, dass sein Selbstbewusstsein gelitten hatte, und weil bei mir alles so gut lief.«
Sie rieb sich mit den Daumen die Schläfen. »Und dann war da noch Lucy. Sie liebt ihren Vater. Und wenn man auch sonst einiges gegen ihn sagen kann, so ist er doch ein guter Vater. Er vergöttert Lucy. Sie ist sein Ein und Alles. Es hat mir nichts ausgemacht, dass er mich nicht mehr liebt. Ich hatte meinen Beruf, meine Tochter. Das reichte mir.«
Sie war erschöpft und zitterte leicht. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie sich in ihrem Leben schon jemals so niedergeschlagen gefühlt hatte. Kovac betrachtete sie voller Mitgefühl.
»Ich möchte jetzt gern nach Hause«, erklärte Carey und erhob sich. »Ich brauche vor der großen Konfrontation noch ein bisschen Ruhe.«
»Sie wollen es ihm heute Abend sagen?«, fragte Kovac und erhob sich ebenfalls. »Sind Sie sicher, dass das eine gute Idee ist?«
»Warum soll ich es hinausschieben? Offenbar habe ich schon viel zu lange gewartet.«
Kovac fasste sie sanft am Arm, als sie um den Schreibtisch herumkam, um zur Tür zu gehen. Seine Berührung überraschte sie.
»Ich könnte vorbeikommen«, sagte er und sah ihr dabei direkt in die Augen.
Und das meint er auch so, dachte Carey. Der hartgesottene Cop, der sie nicht einmal besonders mochte, würde ihr helfen, diese Sache durchzustehen, wenn sie ihn darum bat. Und er würde auch nicht im letzten Moment den Schwanz einziehen. So war Sam Kovac – offen, ehrlich, zuverlässig – , und aus keinem anderen Grund als dem, dass er es für das Richtige hielt.
»Ich möchte lieber kein Publikum dabeihaben«, sagte sie.
»Ich bleibe draußen.«
Carey schüttelte den Kopf. »Vor meiner Haustür stehen bereits zwei Polizisten. David weiß das genauso gut wie ich. Er würde es nicht riskieren, handgreiflich zu werden. Er hat Pläne für sein Leben. Und ein Aufenthalt im Gefängnis gehört sicher nicht dazu.«
»Ich will nicht, dass Sie allein sind«, sagte Kovac.
»Nun, das ist genau das, was ich will – allein sein. Allem Anschein zum Trotz ziehe ich es vor zu weinen, wenn es keiner sieht.«
Das passt ihm überhaupt nicht, dachte sie. Er hatte den Wunsch, sie zu beschützen. Was für eine schöne Vorstellung, dass es jemanden gab, der sich um sie kümmerte, jemanden, an den sie
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