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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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bereue ich es, nicht wenigstens schnell einen Blick in den Spiegel geworfen zu haben. Auf dem Hosenbein klebt ein Farbfleck oder so was. Ich kratze mit dem Fingernagel daran. Geht nicht weg. Meine Turnschuhe sind zerfetzt und meine Socken passen nicht zusammen.
    Cal fährt uns schnell die kurvige Straße zur Stadt entlang. Ich versuche, nicht zu bemerken, wie die Bäume an meinem Fenster vorbeipeitschen, sag mir, dass das Auto solide ist, gut auf der Straße liegt. Cal wirkt entspannt beim Fahren, locker. Er hat alles unter Kontrolle, ist nicht wie jemand, der einen Fahrer braucht. Ich mache die Augen zu. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, er drosselt das Tempo ein wenig.
    Wir biegen auf den Parkplatz hinter einem wettergegerbten, weiß getünchten Häuschen ein. Stone Harbor heißt es. Über den vorderen Teil, zum Wasser hin, zieht sich eine Veranda. Im Sommer wahrscheinlich ein schöner Platz zum Sitzen. Wir begeben uns in die Wärme des Restaurants und die nicht gerade subtilen Blicke der anderen Gäste. Das kapier ich einfach nicht. Ein Promi kann in New York die Straße entlanggehen, und die Leute werden so tun, als würden sie es nicht merken. Diese Leute hier könnten eine Lektion über die Illusion des Privaten vertragen. Ein Tresen aus dunklem Holz, auf dem kleine weiße Kerzen stehen, nimmt die ganze Wand ein.
    »Schön, dich wiederzusehen, Cal.« Eine Frau begrüßt uns. Sie scheint ungefähr in seinem Alter zu sein. Freut sich, ihn zu sehen. Flirtet vielleicht ein bisschen.
    »Sarah.« Cal erwidert ihren Gruß. »Der Schnee scheint die Leute nicht zu Haus zu halten.« Er weist mit einer Kopfbewegung auf den halb gefüllten Raum.
    »Nein«, sagt sie mit einem Lächeln und einem schnellen Blick auf mich. »Die Leute müssen essen und wir haben gutes Essen.« Sie zeigt auf einen Tisch in der Ecke, gleich neben dem Fenster. »Möchtet ihr am Fenster sitzen oder da drüben in einer ruhigeren Ecke?«
    Cal schaut mich an und ich guck zur Ecke rüber. Wenn sie schon glotzen, dann hab ich da wenigstens die Wand hinter mir. Ganz kurz überlege ich, wie lange ich wohl brauchen würde, wenn ich von hier nach Hause laufen würde. Tief durchatmen.
    »Die Ecke ist gut«, sagt er.
    Er legt mir eine warme Hand auf den Rücken und führt mich durch die schmale Gasse von Tischen.
    Die Kellnerin folgt uns, noch eine Frau, die Cal kennt und mit ihm plaudern will. Er ist höflich zu ihr, hält die Antworten aber kurz. Sie versteht den Wink, zieht ab und holt uns Wasser.
    Die Speisekarte ist voll von Spezialitäten der Saison aus der Region. Vor ein paar Monaten wäre ich beeindruckt gewesen. Jetzt hab ich Probleme, eine Wahl zu treffen. Die Wörter kann ich lesen, aber irgendwie lassen sie sich nicht in Gerichte übersetzen, die ich essen würde. Cal bestellt Wintertaucher-Muscheln. Ich geb auf und wähle einen Salat. Rote Beete und Grünzeug, jedenfalls glaube ich, dass es das ist, die Beschreibung auf der Karte liest sich wie ein Zeitungsartikel.
    »Ein Salat für ein Kaninchen«, sagt Cal, als die Bedienung geht.
    Ich brauche eine Sekunde, bis ich registriert habe, was er gesagt hat.
    »Hast du mich eben Kaninchen genannt?«
    Er lächelt ein verhaltenes Lächeln, bei dem mir schwindelig im Kopf wird.
    »Hab ich. Die bist scheu und rennst immer still durch die Wälder. Und dann wirkst du auch noch so, als könnte die kleinste Kleinigkeit dich zu Tode erschrecken.«
    »Sehr witzig.«
    Ein Kaninchen. Mein Gesicht läuft rot an.
    Er fummelt mit seiner Gabel rum, lässt mich aber nicht aus den Augen, lächelt mich an. Ich hab Lust, mich unterm Tisch zu verstecken. Das Schweigen lastet schwer zwischen uns. Finde ich. Er scheint ganz glücklich zu sein.
    »Bist du hier aufgewachsen?«, frage ich. Ich würde alles sagen, damit er aufhört, mich so anzusehen. Als würde er mich gut kennen oder so.
    Er lacht. Offenbar bin ich komisch.
    Ich nehme einen neuen Anlauf und wünschte, ich wär e woanders. »Ich meine, bist du hier zur Highschool gegangen?«
    Wieder lacht er. »Highschool …« Er fährt sich mit der Hand durchs Haar, lächelt noch mal.
    Da dämmert’s mir. »Das hast du mir schon erzählt, stimmt’s?«
    Na klasse. Ich frag immer dasselbe. Wahrscheinlich erinnere ich ihn an seine Großeltern.
    »Nein, im Ernst, ist in Ordnung. Auden. Dahin haben sie uns verfrachtet, meinen Bruder und mich.«
    Ich nicke. Ich kenne Leute, die in Auden gewesen sind. Aus der Stadt. Wie klein die Welt doch ist. Zu klein.
    »Und du?«,

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