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In allertiefster Wälder Nacht

In allertiefster Wälder Nacht

Titel: In allertiefster Wälder Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy McNamara
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fragt er.
    Ich falte meine Serviette auseinander und lege sie mir auf den Schoß. Mit ganz besonderer Sorgfalt, als wäre das Zurechtlegen interessant oder schwierig. Mein Herz taumelt in der Brust wie ein larmoyanter Betrunkener.
    »Nelly Bly. In der Stadt.«
    Er nickt. Lächelt wieder. »Oh, du bist auf die Bly gegangen«, neckt er mich. »Wenn wir in den Ferien zurückkamen, haben wir immer nach Bly-Partys Ausschau gehalten. Man war allgemein der Ansicht, dass die Leute von der Bly nicht ganz so … spießig waren.«
    Unsere Partys. Darin waren wir gut. Alle rein in Patricks Auto oder in Merediths, Fenster runter, Dach aufmachen und aus voller Kehle singen, während wir uns durch den Verkehr zum Strandhaus von Merediths Eltern schlängelten. Die waren nie da. Meredith und ihr Bruder sind, wie sie sagt, »vom Komitee erzogen« worden. Kindermädchen, Tutoren, Unterricht. Ein stillschweigender Vertrag, den Meredith und Jay nie gebrochen haben. Sie sind gute Kinder. Bis zu meinem Desaster jedenfalls. Nein, Meredith fuhr die guten Zensuren ein und wir machten Party am Strand. Sie und ich führten das Haus an diesen Wochenenden, als ob es unseres wäre, als ob wir wer weiß wie reif wären, alles unter Kontrolle hätten. Ich würde sonst was geben, um mich wieder so frei und sicher zu fühlen – vorfahren, die Taschen ins Haus werfen. Der Geruch nach Salz, die feuchte Luft, Wettlauf mit Patrick auf dem festen Sand, ins Wasser geworfen werden, ganz gleich, zu welcher Jahreszeit, mit Leuten abhängen, die ich den größten Teil meines Lebens gekannt habe.
    Aber ich war bereit, den nächsten Schritt zu machen. Focal Point hatte mir Lust auf alles andere gemacht, auf die chaotische Pracht der Welt, die Bly vor uns verborgen hielt. Nach ein paar Tagen Praktikum konnte ich es nicht mehr erwarten, mit der Schule fertig zu sein. Ich war so nah dran, so bereit gewesen, in meine gloriose Zukunft zu fliegen.
    So nah dran.
    Segensreicherweise kommt das Essen schnell.
    »Kann ich noch etwas für euch tun?«
    Unsere Kellnerin ist quietschfiedel. Alle ihre Sätze enden, als hätte sie eine fröhliche Frage gestellt. Sie guckt Cal an, als würde sie aus dem Stand den Platz mit mir tauschen. Ich sollte sie lassen. Aufstehen und gehen.
    »Wir sind versorgt, danke«, sagt Cal. Dann lächelt er sie an.
    Sie benimmt sich, als sei das eine Einladung, lehnt sich an einen leeren Tisch neben unserem.
    »Und was führt dich wieder hierher zurück? Als Letztes hatte ich gehört, du wärest in Ithaca?«
    Sie schaut Cal an, als würde er gleich was total Faszinierendes sagen. Und sie hat Zeit vor dem Spiegel verbracht.
    Ich presse die Handflächen auf meine Schenkel und zwinge ein Lächeln in ihre Richtung. So als wäre ich kultiviert und könnte diese schwachsinnige Unterhaltung ertragen. Aber wenn sie nicht bald geht, schrei ich sie vielleicht an.
    »Warst du nicht an der Cornell?«
    Jetzt bin ich an der Reihe, Cal beim Rotwerden zu beobachten. Er braucht eine Weile, bis er antwortet.
    »Die Pläne haben sich geändert. Ich hab mir eine … Auszeit genommen.« Sein Ton verändert sich, er ist nicht mehr ganz so freundlich. »Bin im August zurückgekommen und mach jetzt ein Praktikum in einer Designfirma.« Mit kühlem Blick schaut er sie an.
    Sie fällt in sich zusammen.
    »Na, alle freuen sich, wenn du und dein Bruder reinschauen.« Nickt mir zu. »Guten Appetit.«
    »Soso«, sage ich, als sie außer Hörweite ist, »du bist im August gekommen? Kurz vor mir.«
    Tausend Gefühle rasen über sein Gesicht. Er rückt ein bisschen vom Tisch ab.
    »Jaaa«, beginnt er, hält kurz inne und schaut mir direkt in die Augen. »Ich … im letzten Jahr hat sich alles in meinem Leben ziemlich schnell geändert. Alles …«
    Ich warte darauf, dass er mehr sagt.
    Tut er nicht.
    »Bist du da krank geworden?«, frage ich, nachdem ich mein Essen etwas auf dem Teller herumgeschoben habe. Ich muss diese Worte rauspressen. Mein Magen ist verkrampft vor Angst. Noch mehr schreckliche Sachen will ich nicht wissen.
    »Da hab ich es erfahren«, sagt er nach einer Weile. »Irgendwie wusste ich es schon eine Zeit lang, glaub ich, ich wollte mich der Sache nicht stellen.«
    Ich arbeite daran, Rote Bete zu essen. Ist ja so viel leichter, als was zu sagen.
    »Meine Mutter hat auch MS gehabt.« Das sagt er schnell.
    Seine tote Mutter.
    Ich esse weiter, aber mein Hals ist so eng, dass ich kaum schlucken kann. Ich zwinge mich, ihn anzusehen.
    Mit leicht erhobenem Kinn schaut er

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