In besten Kreisen
ich mitbekommen habe, hängen ihre Aufgaben mit Leo, Ihrem Neffen, zusammen.« »Auf William trifft das zu. Und Leo ist, nebenbei bemerkt, tatsächlich mein Neffe. Natürlich hat man ihn auch schon für einen Fehltritt von mir gehalten, den ich auf diese Art bemäntele. Gibt es übrigens auch eine Adjektivform zu ›Tante‹? Aber nicht ›tantenhaft‹.« »Das glaube ich kaum«, sagte Mr. Mulligan. »Vielleicht können wir eine erfinden. Ich war mir immer schon sicher, daß Joyce nur deshalb ›Finnegans Wake‹ geschrieben hat, weil er Spaß daran hatte, neue Wörter zu erfinden. Wie wäre es mit ›tantlich‹?« »Nicht schlecht. Also, in meiner tantlichen Eigenschaft habe ich William als Leos Hauslehrer und zugleich als seinen Kumpel eingestellt. Man könnte sagen, einen Gefährten für den jungen Telemach.
Er, also William, ist zufällig Student in höherem Semester an der Universität, wo ich lehre. Ein großes Problem beim Anheuern männlicher Studenten dieses Alters als Sommergefährten für einen Neffen liegt darin, daß sie, wie Evelyn Waugh sagte, kleine Jungen entweder zu sehr oder zu wenig mögen, aber William kann gut mit Leo umgehen. Weil Leo tagsüber am A.B.C. teilnimmt, sind Williams Verpflichtungen nicht allzu groß; er kann diese hervorragende Bibliothek benutzen, hat Unterkunft und Verpflegung und dazu noch die anregende Gesellschaft von Emmet.« »Und die Annehmlichkeiten eines sehr gut geführten Hauses und die Dienste Ihrer hervorragenden Mrs. Monzoni.« »Sie kennen Mrs. Monzoni, Mr. Mulligan?« »Nicht persönlich. Aber ich habe, wie Sie sich vorstellen können, von dieser empörenden jungen Frau gehört, einer gewissen Miss Fansler, die selber weder kochen, noch den Haushalt führen und putzen, noch sich um ihren eigenen Neffen kümmern kann. Sie kennen das Leben hier noch nicht, Miss Fansler. Ich verbringe nun fast seit einem Dutzend Jahren den Sommer hier, und ich habe gelernt, daß die Landbewohner sich so obszöne Vorstellungen von einem machen, weil sie selber zum großen Teil solchen Dingen frönen.
Wissen Sie zufällig, welches Verbrechen in den Berichten der Polizei von Vermont, um mal einen ländlichen Bundesstaat in New England herauszupicken, am häufigsten auftaucht?« »Schwarzbrennerei?« riet Kate.
Mr. Mulligan wandte sich an Reed. »Vielleicht weiß es unser Bezirksstaatsanwalt?« »Inzest, nehme ich an«, antwortete Reed.
Mr. Mulligan nickte. »Vor allem zwischen Vater und Tochter, aber es gibt auch andere Formen.« »Sie machen mir Angst.« »Natürlich tue ich das, liebe Lady. Aber wenn Sie mal einen Augenblick nachdenken, dann werden Sie begreifen, wieso der Mensch hier auf dem Lande bei aller Scheinheiligkeit sich sehr wohl Situationen vorstellen kann, die wir Städter nur durch die geniale Darstellungskraft eines William Faulkner erfahren; dem Landbewohner ist das sozusagen angeboren.« »Ich bin sicher, daß Mary Bradford bei aller Niederträchtigkeit niemals Inzest begangen hat und auch niemand in ihrer Familie.« »Da könnten Sie recht haben. Aber ich glaube von mir behaupten zu können, daß ich Charaktere beurteilen kann, und es gibt nicht allzu viele Sünden, die ich dieser Dame nicht zutrauen würde, deren Namen mir übrigens, das schwöre ich feierlich, heute abend nicht mehr über die Lippen kommen wird. Darf ich fragen, was Emmet tut?« »Er sieht den Nachlaß von Sam Lingerwell durch und versucht, eine Ordnung hineinzubringen, die es uns ermöglicht, die einzelnen Unterlagen den richtigen Institutionen zu vermachen. Gerade jetzt stellt er alles, was Joyce betrifft, zusammen, und zu meiner großen Überraschung – denn seiner Meinung nach ist Jane Austen die einzig erwähnenswerte Romanautorin – hat er angefangen, sich richtig für ihn zu interessieren, vor allem ›Dubliner‹ hat es ihm angetan. Er murrt allerdings ständig über Lingerwells Verständnis für Joyces Vorliebe für Kurzgeschichten. Natürlich hat Jane Austen niemals eine Kurzgeschichte geschrieben. Haben Sie Mr. Lingerwell gekannt? Schließlich war er ja Ihr Verleger.« »Er hatte sich aus dem aktiven Verlagsgeschäft zurückgezogen, bevor ich dort auftauchte. Ich habe gehört, daß er dieses Haus gekauft hat, habe ihn aber nie gesehen.« »Also, Emmet macht seine Sache sehr gut, alles in allem. Es ist ausschließlich seine neue Begeisterung für Joyces ›Dubliner‹, die ihn hier hält, denn er kann das Landleben nicht ausstehen, fürchtet sich vor Schlangen, zittert buchstäblich
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