In besten Kreisen
gebaut worden ist, und dann amüsierst du dich mit ihr im Gras, während dir die Kugeln um die Ohren pfeifen. Es ist einfach der größte Fehler, wenn man sich das Leben unnötig schwer macht.« »Ich fürchte, ich bin ein ziemlich komplexer Mensch.« »Genau. Und wie sagt schon Oscar Wilde? Einfache Freuden sind die letzte Zuflucht für den komplexen Charakter.« Kate und William wanderten gemeinsam nach Hause. William hatte wütend erklärt, er brauche frische Luft, und Kate hatte all ihre Wünsche nach Faulheit unterdrückt und beschlossen, ihn zu begleiten. Reed fuhr Grace Knole heim, zusammen mit Emmet, dessen Drang, zu den Lingerwell-Papieren zurückkehren zu können, sich kaum verhehlen ließ. Kate hegte ziemlich gemischte Gefühle gegen-
über William, die auch nicht durch die Erkenntnis einfacher wurden, daß ihr Entschluß, sich nicht in seine Angelegenheiten zu mischen, schließlich überrollt werden würde von der Notwendigkeit ihrer Einmischung. Natürlich hätte sie Lina Chisana erst gar nicht einladen dürfen. Aber sie hatte zu spät bemerkt, wie intensiv die Beziehung zwischen Lina und William war.
Kein Zweifel, nur ein Henry James wäre ihr gerecht geworden.
Entweder mußte William die Barrieren niederreißen, oder Lina müßte sich, wenn sie mit ihm zusammenbliebe, mit einem Leben auf Freundschaftsebene nach Art der Grace Knole abfinden; und es fiel Kate reichlich schwer, zu entscheiden, welches dieser beiden Extreme das unbefriedigendere war. Ob aber eine Liebelei zwischen ihr und Mr. Mulligan… »Wie ist eigentlich der Vorname dieses unsäglichen Schurken?« fragte William. Kate hätte zu gern »Welches Schurken?« gefragt, aber da es ihr immer schwerfiel, sich plötzlich dumm zu stellen, sagte sie bloß: »Padraic, kommt aus dem Gälischen. Ich glaube«, fügte sie hinzu, »seine Freunde nennen ihn Paddy.« »Wo findet der denn Freunde?« fragte William, »im Harem um die Ecke?« »Der nächste Harem ist wahrscheinlich in Istanbul.« »Ich glaube, der hat einen im ersten Stock, dieser…« »Nun hören Sie mal, William, ich will ja nicht weise und auch nicht tantenhaft wirken, aber Sie müssen sich entscheiden zwischen einem Leben im absoluten Zölibat und der Liebe einer jungen Frau.
Sie können einfach nicht beides haben, und je eher Sie aufhören, sich selber etwas vorzumachen, desto besser.« »Ich weiß, es gibt nirgendwo mehr feste Regeln«, sagte William, »aber ein außereheliches Geschlechtsleben ist doch bestimmt nich* die einzige mögliche Lebensform, nicht einmal in den Augen älterer Frauen, die als Ausbund von Tugend gelten und dabei innerlich vor Lüsternheit brodeln.« »In Ordnung«, sagte Kate und blieb stehen. »Ich gestehe eine vielleicht abstoßende Abneigung gegenüber beidem ein, Enthaltsamkeit und Ehestand, was mich zweifellos in Ihren Augen als verwerflich erscheinen läßt. Unterbrechen Sie mich nicht. Es gibt aber auch so etwas wie Unterlassungssünden, verstehen Sie? Wenn Sie Stunden, Tage, Wochen mit einer jungen Frau verbringen, ohne sie auch nur zu küssen, dann schaffen Sie sich die Probleme selber an den Hals und müssen sich dann auch mit ihnen abfinden. Darf ich hinzufügen«, sagte Kate und stieß zornig einen Stein weg, »da wir hier in dieser schamlosen Weise ad hominem Bemerkungen austauschen, falls Sie unbedingt Priester werden wollen, dann verdammt noch mal, gehen Sie hin und werden Sie einer. Ich werde Ihnen jede mögliche Unterstützung zukommen lassen. Aber wenn Sie ein nichtzölibatäres Leben wählen, dann probieren Sie dieses Nicht-Zölibat auch aus. Und wenn Sie jetzt mit dem nächsten Zug wegfahren wollen, werde ich versuchen, für Leo jemand zu finden.« »Morgen früh fährt ein Zug ab Pittsfield. Ich rufe mir ein Taxi und nehme den Zug, wenn Sie das wollen.« »Ach, hören Sie auf, William, ich will nichts dergleichen. Was sollte Leo denn ohne Sie anfangen, vor allem um halb sechs in der Früh? Natürlich möchte ich, daß Sie bleiben.« »Ich könnte es nicht ertragen, wenn Sie denken, ich hätte Sie beschuldigen wollen, ich meine, mir wäre nie eingefallen, zu unterstellen, daß Sie…« »… unverheiratet Geschlechtsverkehr habe? Keine Sorge. Die Dinge verändern sich, William, und sehr zu meiner Überraschung glaube ich, obwohl ich eine Menge altmodischer Züge an mir habe, daß sie sich zum Besseren wandeln. Ich schätze nach wie vor Höflichkeit, vielleicht sogar eine gewisse Förmlichkeit. Aber ich glaube auch, wie sich irgendein
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