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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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ging. Sie fand ihr Handy, das er auf den Tisch gelegt hatte, und griff danach. Wie prickelnd es sein müsste, sie in genau diesem Augenblick anzurufen, mit ihr zu sprechen … Aber dann hätte er seine Stimme verstellen müssen, man konnte ja nie wissen.
    Sie wählte eine Nummer und blickte sich dabei ängstlich um.
    Er bog in der kalten Januarnacht genüsslich den Rücken durch, dass die Wirbel knackten. Wie er diese Augenblicke liebte.
    Und wie schön es war, zu leben.

51
    Wie zu erwarten, tauchten umgehend die FBI-Agenten bei Annabel auf. Sie nahmen die Kassette, das gelbe Päckchen und die beiden Fingerglieder an sich. Sie stellten der jungen Frau so viele Fragen, dass sie schließlich sagte, sie sollten sich zum Teufel scheren. Noch einmal versuchte sie, Thayer zu erreichen – wieder vergebens.
    In ihrer Verzweiflung ging sie zum Hotel Cajo Mansion an der Atlantic Avenue. Brolin öffnete ihr, sein Gesicht ebenso verknittert wie sein T-Shirt. Es war drei Uhr morgens.
    Als er Annabel sah, begriff er sofort, dass etwas passiert war. Er bat sie, Platz zu nehmen, und schaltete den elektrischen Wasserkocher auf der Minibar ein, um ihr einen Tee zu machen. Sie erzählte ihm alles. Auch von der behandschuhten Hand auf der Scheibe der Duschkabine. Und von den Kinder fingern. Dann brach ihre Angst aus ihr heraus, sie weinte und schluchzte heftig.
    Um fünf Uhr schlief Saphir vor dem Bett und Annabel in den Armen von Brolin. Sie schlief eingehüllt in die beruhigende Wärme seines Körpers. Sie hatte ihn darum gebeten, die Müdigkeit hatte die Scheu besiegt. Ein freundschaftlicher, tröstlicher Schlaf.
    Brolin atmete leise und sog den zarten Moschusduft ein, den Annabels Haar verströmte.
    Seine Augen waren geöffnet.
    *
    Mit Zweitagebart und dunklen Schatten unter den Augen trat Brett Cahill ins Wohnzimmer und warf ein kleines Buch auf den Tisch.
    »Der Dreckskerl liest Shakespeare!«, rief er.
    Er war bei Annabel, wo sie – Brolin, Thayer und Annabel – ihr improvisiertes Hauptquartier eingerichtet hatten, um sich dem FBI zu entziehen.
    Thayer stützte seinen Kopf in die Hände.
    »Und ich als Theaterfan habe es nicht gemerkt, nicht einmal daran gedacht. Wie ein Heide im Heiligen Land!«
    Brolin griff nach dem Buch: Der Sturm von William Shakespeare.
    »Seht euch die Personenliste an«, erklärte Cahill. Brolin schlug die entsprechende Seite auf. In der Mitte stand: CALIBAN – ein wilder und missgeschaffener Sclave.
    »Es ist eine Figur aus dem Stück, haben Sie’s gelesen?«
    Cahill schüttelte den Kopf.
    »Ich werde es aber tun«, fügte er hinzu. »Ich bin übrigens durch meine Frau daraufgekommen. Als ich heute Morgen erfahren habe« – er warf Annabel einen verlegenen Blick zu –, »kurz, ich habe am Frühstückstisch angefangen, auf diesen Bob und den verdammten Caliban zu schimpfen. Sie ist Shakespeare-Expertin, sie hat ihre Magisterarbeit über ihn geschrieben und hat mir auch vorhin dieses Buch gezeigt.«
    »Was tut Caliban in dem Stück?«, erkundigte sich Annabel. »Jack, du hast es doch gelesen, oder?«
    »Ja. Komisch, eigentlich ist es nicht eben schmeichelhaft, sich mit einem wie diesem Caliban zu identifizieren. Caliban ist ein Monster, der Sohn der Hexe Sycorax und des Teufels. Nach dem Tod seiner Mutter herrschte er bis zur Ankunft der Menschen, der Schiffbrüchigen, als König über die Insel, dann wird er ihr Sklave. Er ist ein arglistiges Wesen und hat nur eines im Sinn: Wieder an die Macht zu kommen. Aber so wie er beschrieben wird, ist er eher abstoßend, unser Bob hätte sich mit jemand Besserem vergleichen können …«
    »Nicht unbedingt«, gab Brolin zu bedenken. »Im Gegenteil. Bob, der Mörder, hat uns bereits bewiesen, dass er intelligent ist. Um das fertig zu bringen, was er letzte Nacht getan hat, muss er sehr clever sein. Dass er diesen Namen gewählt hat, hat weniger mit der Erscheinung zu tun als mit der Symbolik. Was sagt uns das Stück? Dass Caliban, Sohn einer Hexe und des Teufels, zu allem bereit ist, um seine Macht zurückzuerobern! Das ist interessant. Ich bin geneigt zu glauben, dass Bob nur wenig Respekt vor seinen Erzeugern hat, dass er sie verachtet und sich benachteiligt fühlt. Er will sich mit allen Mitteln erhöhen, seine Überlegenheit beweisen. Eigentlich bestätigt das nur das, was wir schon wissen – die üblichen Charakteristika dieses Verbrechertyps. Zumindest kennen wir jetzt die Quelle seiner Inspiration.«
    Thayers graue Augen waren auf den Privatdetektiv

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