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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Holzabsperrung. Vor den Blicken der Passanten geschützt, schaltete sie ihr Handy aus und zog ihre Beretta. Der Hauseingang war mit einer schweren Kette gesichert, deren Schloss auf den staubigen Boden hing. Das fängt ja gut an, dachte Annabel, wenn ich die Kette bewege, müsste es mit dem Teufel zugehen, dass er mich nicht hört. Sie hatte keine Zeit, sie vorsichtig zu öffnen, um keinen Lärm zu machen. Schnell suchte sie nach einem anderen Zugang und entdeckte ein erreichbares Fenster im ersten Stock. Die Plastikplane, die es normalerweise verschloss, flatterte im Wind und war nur noch an einer Seite befestigt.
    Also, zeig, was du kannst!
    Sie steckte ihre Waffe ein, stützte sich am Schaufenster eines geschlossenen Geschäfts ab, klammerte sich an einer Mauerspalte fest und zog sich hoch. Nach ein paar vorsichtigen Klimmzügen befand sie sich auf der Fensterbank, von der aus sie über den Bauzaun hinweg auf die Straße sehen konnte. Vielleicht ruft so wenigstens jemand die Polizei. Diese Vorstellung beruhigte sie. Der Gedanke aber, dass ihr der Kerl jeden Moment entkommen könnte, war unerträglich.
    Sie drehte sich um und stieg, die Waffe erneut gezogen, in den ersten Stock ein. Das Gewicht ihrer Beretta vermittelte ihr ein Gefühl von Sicherheit. Annabel wusste, dass sie einen körperlichen Angriff abwehren konnte. Sie war eine der Besten beim Selbstverteidigungskurs der Polizei und darüber hinaus Mitglied in einem Thai-Box-Club. Sie verfügte zwar nicht über dieselbe Muskelmasse wie die Männer, doch dank ihres technischen Geschicks konnte sie es durchaus mit ihnen aufnehmen. Allerdings war sie noch nie allein in ein Haus eingedrungen. Anders als in Krimis dargestellt, besteht der Alltag eines Detectives aus relativ simplen Ermittlungen und weniger aus gefährlichen Einsätzen.
    Sie schlich durch ein leeres Zimmer zu einem schmalen Gang, von dem eine Treppe abging. Weiter drang das Licht von draußen nicht vor, der Rest war in feuchtes Dunkel getaucht. Von oben war ein Geräusch zu hören, dann begann der Boden zu knarren, ein schwerer Gegenstand wurde verrückt.
    Annabel tastete ihre Jacke ab und verfluchte sich, weil sie ihre Taschenlampe vergessen hatte. Was nutzt sie dir im Kofferraum deines Autos!
    Sie machte sich heftige Vorwürfe. Nichts war vorbereitet, sie verfügte über keine geeigneten Hilfsmittel, und sie wusste, dass das, was sie tat, schlichter Wahnsinn war. So nahm man nicht die Verfolgung eines Mannes auf, den man für gefährlich hielt.
    Dennoch ging sie weiter die Treppe hinauf und achtete darauf, den Fuß an den Rand der Stufen zu setzen, um sie nicht zum Knarren zu bringen, ganz vorsichtig, so …
    Sie ließ die Hand über die Wand gleiten, um sich in der Dunkelheit orientieren zu können.
    Ihre Finger trafen auf etwas Kaltes, Feuchtes: Von der Decke tropfte Wasser herab, Brackwasser aus einem Behälter oder einer Pfütze auf dem baufälligen Dach, vermutete Annabel.
    Das dumpfe Geräusch wurde lauter, es kam aus dem dritten Stock. Annabel tastete sich dicht an der Wand entlang. Sämtliche Türen waren entfernt worden, so dass nur dunkle Rechtecke blieben. Hinter einem jeden konnte sich ein bewaffneter Mann verbergen. Die junge Frau schob sich vorsichtig, den Rücken an den klebrigen Kalk gepresst, voran. Bei jeder Türöffnung brach ihr der kalte Schweiß aus, und sie stellte sich einen Mann vor, der auf der anderen Seite der Wand kauerte, nur fünfzehn Zentimeter von ihr entfernt, dann beide Gesichter am Türrahmen, kurz davor, einander zu fixieren. Er mit seinem Skalpell, erfüllt von einer obszönen Lust bei der Vorstellung, einer Polizistin den Skalp abzuziehen, und sie selbst wie gelähmt vor Angst durch das plötzliche Auftauchen dieser wahnsinnigen Augen und unfähig, von ihrer Beretta Gebrauch zu machen.
    Denk nicht an so etwas, schalt sie sich selbst. Konzentrier dich auf den Augenblick.
    Mit einem geschmeidigen Sprung huschte sie an dem dunklen Loch vorbei, das zu einem der Zimmer führte.
    Auf diese Art stieg Annabel vorsichtig die Treppe hinauf, ebenso wachsam bei ihren Bewegungen wie gegenüber dem geringsten Geräusch. An jeder Türöffnung, auf jeder Stufe wiederholte sie das Manöver, alle Sinne in Alarmbereitschaft. Ihre Stirn war schweißbedeckt. Als sie das letzte Stockwerk erreicht hatte, blieb sie stehen. Hier waren alle Fenster mit Brettern vernagelt, so dass von außen kein Licht hereindrang. Ein Dutzend Kerzen brannten am Boden, andere waren erloschen und hatten

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