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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Sonderangebot erstanden – zwei zum Preis von einem. Seine Lippen waren ausdruckslos, mehr ein gerader Strich, ganz so wie seine Augen, die sich nur sehr langsam in ihren Höhlen bewegten. Wären nicht sein vorstehender Oberkiefer und seine schwarzen Augenbrauen gewesen, die so gar nicht zu dem grauen Haar passten, hätte man sich wohl nicht an ihn erinnern können, sofern man nicht jeden Tag mit ihm zu tun hatte. Seine schlechte Laune verriet, wie sehr es ihm missfiel, diesen Fall nicht selbst leiten zu können.
    Er trat einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Der Anblick war so erschütternd, dass allen der Atem stockte.
    Siebenundsechzig Fotografien zeigten ebenso viele Menschen, aufgereiht zu einer langen, unheilvollen Kette. Annabel betrachtete sie eingehend: Bei diesen Blicken, dieser Angst, drängte sich ihr das Bild des Holocaust auf. Für einen Moment hatte sie den Eindruck, die unendlichen Menschenschlangen zu sehen, die vor dem Eingang von Auschwitz warteten. So viele unschuldige und resignierte Gesichter.

    Die Tür zum Flur öffnete sich, und Captain Woodbine trat ein. Der schwarze Riese wirkte besorgt.
    Jack Thayer klatschte in die Hände.
    »So, setzen wir uns, und beginnen wir mit einer Bestandsaufnahme. Von Anfang an.«
    Sie nahmen an einem langen Tisch unter einer Reihe kleiner Kupferlampen Platz. Innerhalb weniger Minuten stieg der Zigarettenrauch in immer dichteren Spiralen auf und machte dem Beinamen »Räucherkammer« alle Ehre. Draußen bewölkte sich der Himmel, bis die Sonne vollständig verschwunden war.
    Attwel erhob seine Bariton-Stimme: »Am Freitag, dem achtzehnten Januar, also vor drei Tagen, wird Spencer Lynch aus den uns bekannten Gründen verhaftet. Er liegt noch immer im Koma, die Ärzte meinen, er sei außer Lebensgefahr, wissen aber nicht, wann und in welchem Zustand er wieder zu sich kommt. Gut, bei diesem Lynch finden wir Fotos von siebenundsechzig Personen – Kinder, Frauen und Männer jeden Alters.«
    Woodbine schien benommen, verständnislos betrachtete er die Gesichter auf den Fotos.
    »Soweit wir bisher herausgefunden haben, wurden all diese Menschen von ihren Familien als vermisst gemeldet«, fuhr Attwel fort, so als wäre er der Leiter der Sonderkommission. »Die Fotos waren in einer bestimmten Anordnung aufgehängt: Die drei Polaroids, die Spencer Lynchs Opfer zeigten, unterschieden sich von den anderen. Die beiden anderen Gruppen waren durch einen farbigen Strich getrennt. Eine umfasste fünfzehn selbst entwickelte Aufnahmen, die andere, und das war die schlimmste Gruppe, bestand aus neunundvierzig Digitalfotos, die anschließend in guter Qualität auf Fotopapier ausgedruckt wurden. In allen Fällen war der Fotograf vorsichtig gewesen und kein Risiko eingegangen. Rückschlüsse auf den Urheber waren nicht möglich.«
    »Wollen Sie mir weismachen, siebenundsechzig Personen wären einfach so entführt und dann fotografiert worden?«, fragte Captain Woodbine, der nichts anderes als eine Bestätigung dessen erwartete, was er bereits wusste, aber nicht zu glauben wagte.
    »Ich befürchte, das ist erst der Anfang des Albtraums. Jack!«
    Attwel wandte sich an Jack Thayer, der sich erhob und die Ausführungen vor einer Tafel fortsetzte, auf der drei Zeilen in lateinischer Sprache geschrieben standen.
    »Caliban Dominus noster, In nobis vita, Quia caro in tenebris lucet«, las er. ›Caliban ist unser Herr, in uns ist das Leben, denn das Fleisch leuchtet in der Dunkelheit.‹ Auch hier die Dreiteilung. Wir stellen Nachforschungen an, um herauszufinden, ob Spencer Lynch des Lateinischen mächtig ist, doch das würde mich eher wundern. Ohne abwertend sein zu wollen, scheint er nicht das Format dafür zu haben. Wir haben bei ihm kein lateinisches Lexikon gefunden, gerade überprüfen wir die Bücher, die er besitzt, um sicher zu gehen, dass er es nicht dort irgendwo abgeschrieben hat.«
    »Du nimmst an, dass es sich um mehrere Täter handelt, nicht wahr?«, fragte Woodbine, »eine Sekte, Satanisten oder so etwas?«
    Thayer sah die anderen eine Weile fest an, ehe er antwortete: »Im Moment gehen wir davon aus, dass es drei Täter sind. Alles ist in Dreierteilung aufgebaut: die verschiedenen Fotos, die Anordnung an Lynchs Wand, und sogar das Zitat besteht aus drei Sätzen. Das scheint vielleicht etwas an den Haaren herbeigezogen, aber fest steht, dass Lynch nicht allein ist. Und wir haben noch etwas anderes.«
    Jetzt erhob sich Annabel und nahm ein Tütchen

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