In Blut geschrieben
die einzige Lichtquelle im Raum – unterstrich seine markanten Gesichtszüge.
Zum ersten Mal, seitdem sie sich begegnet waren, fühlte sich Annabel unbehaglich, und sie fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen sei, unangekündigt in seine Privatsphäre einzudringen, ohne ihm Zeit zu lassen, sich hinter der Maske des coolen Privatdetektivs zu verstecken.
Aber er hat keine Maske! Du siehst ihn jetzt so, wie er immer ist …
Ihr wurde klar, dass dieses Unbehagen von seiner Ausstrahlung herrührte. Bei dieser ungewohnten Nähe und Umgebung fiel es ihr schwer, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen.
»Sie sind merkwürdig«, sagte er mit warmer Stimme.
Sie hatte das Gefühl, dass sein Mund ganz dicht an ihrem Ohr war und er sehr leise sprach.
»Dass Sie überraschend bei mir hereinschneien, stört mich nicht, doch es wäre mir lieb, wenn Sie nicht mitten im Zimmer stehen blieben und mich beäugten. Das macht mich verlegen.«
Er hatte erneut sehr sanft gesprochen, dabei aber jedem Wort eine besondere Betonung gegeben, damit es so, wie von ihm beabsichtigt, bei Annabel ankam.
Plötzlich spürte die junge Frau wieder das Gewicht der Akten in ihrer Hand und kam auf den Boden der Tatsachen zurück. Es liegt an der schummrigen Atmosphäre hier und daran, dass du aus der Kälte ins Warme gekommen bist, also beruhige dich. Hol tief Luft, es wird schon gut gehen. Es ist nichts, seine Nähe macht dich nervös, entspann dich, atme tief durch. Ja, genau so, du schaffst das. Und schon hatte sie sich wieder in der Gewalt. Brolin beugte sich vor, um eine kleine Lampe anzuknipsen.
»Setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen ein Glas Wein anbieten?«
»Nein, danke. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mir vielleicht helfen können«, gestand sie und ließ sich in einen bequemen Sessel fallen.
Er sagte nichts, richtete nur seine dunkel glänzenden Augen mit einem Anflug von Neugier, doch ohne jeden Hintergedanken, auf die hübsche junge Frau. Sie legte den Autopsiebericht auf den schmiedeeisernen Couchtisch mit der Rauchglasplatte.
»Wir haben eine weitere Leiche gefunden. Die erste, das heißt, nach den Toten bei Lynch.«
»Wie haben Sie die Verbindung hergestellt?«, unterbrach er sie, das Kinn auf die Hand gestützt, so dass sie seinen Mund halb verdeckte, in der anderen Hand das Weinglas.
»Durch die Tätowierung auf ihrem Nacken. Sie ist mit denen auf den Fotos identisch. Es handelt sich um eine junge Frau um die zwanzig, ein Junkie. Wir warten noch auf den toxikologischen Befund. Wahrscheinlich hatte sie Aids.«
Brolin griff nach der Akte und begann sie zu studieren. An seiner Vorgehensweise erkannte Annabel, dass er ein Profi war: Er las quer, warf immer wieder einen Blick auf die Fotos und wusste, wann es sich lohnte, einen Abschnitt genauer zu lesen oder nur zu überfliegen. Unterdessen ging sie in Gedanken noch einmal die Fakten durch, die sie heute Morgen mit der Polizei von Larchmont zusammengetragen hatte. Plötzlich veränderte sich der Gesichtsausdruck des Privatdetektivs, und Annabel war, als lege sich ein Schatten auf seine Züge. Ein eisiger Schauer durchlief ihren Körper, als sie sah, wie sich der Blick des Exprofilers verdüsterte. Mit einem Mal nahm sie die bedrückende Stille wie ein ohrenbetäubendes Summen wahr.
Brolins schwarze Augen hoben sich von der Akte und richteten sich auf sie. Sie waren glatt und dunkel wie Billardkugeln.
»Stimmt etwas nicht?«
Alles – Geräusche, schwarze Augen, das ganze Unbehagen – wurde binnen einer Sekunde aufgesogen. Brolin musterte sie mit gerunzelter Stirn. Sein Blick war leicht beunruhigt.
Reiß dich zusammen, verdammt noch mal, was stellst du dich so an? Bei dem schummrigen Licht hier geht deine Fantasie mit dir durch!
»Nein, nein, tut mir Leid«, stammelte Annabel. »Ich bin nur todmüde.«
Er sah sie eindringlich an und reichte ihr sein Glas.
»Hier, trinken Sie. Ich lasse Ihnen ein Bad ein, das wird Sie aufwärmen und entspannen. Später, wenn es Ihnen wieder besser geht, sprechen wir über den Fall.«
Sie schüttelte den Kopf und wollte etwas sagen, doch er war bereits aufgestanden und ließ sie gar nicht erst zu Wort kommen.
»Keine Widerrede. Sie sind zu mir gekommen, also machen wir es nach meinen Regeln. Außerdem habe ich so mehr Zeit, die Akte zu studieren.«
Auf dem Weg zum Badezimmer fügte er hinzu: »Übrigens, falls Sie das befürchten sollten: Sexuelle Belästigung ist nicht mein Ding.«
Annabel sah ihn hinter einer Tür verschwinden und
Weitere Kostenlose Bücher