In Blut geschrieben
wechselten sie kaum ein Wort, als wollten sie bei diesem kurzen exotischen Intermezzo ihre Energiereserven wieder auffüllen.
Als Brett Cahill auf der Toilette war, beugte sich Thayer vor und flüsterte Annabel zu: »Das Labor hat die Untersuchung des Klebestreifens abgeschlossen: Was dein Freund unter der Kirchenbank gefunden hat, ist identisch mit den Spuren auf Spencer Lynchs Umschlag. Also haben sie ihre Nachrichten in der Kirche ausgetauscht. Jetzt musst du mir aber mal etwas mehr über deinen Mister Providence erzählen. Vorerst decke ich euch weiter, aber erklär mir, woher der kommt.«
»Ich habe es doch schon gesagt, ein Privatdetektiv aus Oregon. Ich kannte ihn vorher nicht persönlich, sondern nur aus den Medien.«
»Anna, du versorgst diesen Typen mit wichtigen geheimen Informationen.«
»Ich vertraue ihm; er weiß, was er tut, und er ist gut. Der Beweis: Ohne ihn hätten wir Tage gebraucht, um diese Kirche zu finden, wenn überhaupt …«
Thayers graue Augen schweiften durch den Raum und richteten sich dann wieder auf Annabel. Er verzog das Gesicht zu einer skeptischen Grimasse, wodurch die Falten um seinen Mund noch tiefer wirkten.
»Anna, du weißt, dass ich dich unterstütze und auf deiner Seite stehe. Aber wenn dieser Typ nicht zuverlässig ist, können wir beide den Rest unserer Laufbahn damit verbringen, Strafzettel auszustellen.«
Annabel legte besänftigend die Hand auf den Arm ihres Freundes.
»Keine Sorge, ich täusche mich nicht. Und was willst du jetzt wegen der Kirche unternehmen?«
»Morgen gehen wir hin. Bislang hat mich niemand nach der Herkunft des Klebestreifens gefragt.«
»Bitte sag nichts von Brolin, ich glaube, er möchte lieber nicht in Erscheinung treten.«
»Natürlich. Offiziell ist es eine deiner brillanten Schlussfolgerungen, die uns ermöglicht hat …«
Er verstummte, als er Cahill auf den Tisch zukommen sah. Annabels Mund war noch vor Empörung geöffnet.
»Täusche ich mich, oder unterbreche ich gerade ein wichtiges Geständnis?«, fragte Cahill.
Thayer lenkte das Gespräch geschickt auf die Elemente der Untersuchung, über die sie momentan verfügten. Am Morgen hatten sie ihre Informationen ausgetauscht. Es hatte sich allerdings nicht viel Neues ergeben. Alle Hoffnungen konzentrierten sich jetzt auf die Autopsie, deren Ergebnis am späten Nachmittag vorliegen sollte. Von dem Jungen, der die Leiche entdeckt hatte, hatte Thayer nichts mehr erfahren; er erinnerte sich nicht daran, einen Wagen oder irgendjemanden gesehen zu haben. Auch Cahill hatte bei den örtlichen Polizisten kein Glück gehabt. Er hatte zwar fast alle befragt, doch keinem war am Leichenfundort auch nur das kleinste Detail aufgefallen. Alles, was sie im Moment hatten, war die Leiche einer zwanzigjährigen Frau, die gefoltert und dann ermordet worden war. Man hatte sie am frühen Abend während des Schneesturms ausgesetzt, denn Doubsky zufolge hatte viel Schnee auf dem Körper gelegen, aber wenig darunter. Natürlich hatten die Nachbarn nichts bemerkt. Der Mörder hatte sich den Wetterumschwung zunutze gemacht. Vielleicht hatte er die Leiche ursprünglich erst später beseitigen wollen, dann aber seine Pläne geändert, um im Schutz des Schneesturms agieren zu können.
Am frühen Nachmittag traten sie unter einem eintönig weißen Himmel den Rückweg an. Es fiel kein Schnee mehr, auf dem Boden aber lag er zehn bis zwanzig Zentimeter hoch. Als sie das 78. Revier erreichten, brach die Sonne durch, und überall am Himmel zeigten sich blaue Löcher.
Während sich Thayer mit Captain Woodbine besprach, kochte sich Annabel einen Kaffee und setzte sich an ihren Schreibtisch. Sie war ganz steif von der Fahrt. Als Fabrizio Collins an ihrer Tür vorbeikam, blieb er stehen.
»Einundfünfzig Personen sind schon identifiziert, bleiben nur noch sechzehn!«, verkündete er stolz.
Und dazu gab es auch allen Grund. Innerhalb von nur fünf Tagen hatten sie die Namen all dieser Menschen herausgefunden, was bei genauerem Nachdenken fast beängstigend war. Der schnelle Erfolg war darauf zurückzuführen, dass fast alle Opfer in der Vermisstenkartei registriert waren. Die Sekte vergriff sich nicht an Obdachlosen oder Pennern, deren Entführung nicht weiter aufgefallen wäre – nein, sie wählte Durchschnittsbürger, sie schlug überall zu. Den ersten, unmittelbar nach dem Verschwinden erstellten Polizeiberichten zufolge hatte es in keinem Fall Zeugen oder Indizien gegeben.
Sie mussten erschreckend gut
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