in China
Weg gehen.«
Sie hatte ganz vergessen, daß er Buddhist war. »Ich bin ständig auf der Suche«, gab sie zu.
»Aber manchmal gerate ich auf seltsame Wege.«
Ein warmes Lächeln lag auf seinem Gesicht. »Es gibt keine seltsamen Wege, xianben - nur die Suche.«
»Ach«, stammelte sie. Es verschlug ihr die Sprache. Sie sahen sich an. Mrs. Pollifax war tief gerührt. Sie hatten viel gemeinsam, eine Art Seelenverwandtschaft verband sie. Sie brachte diesem Mann fast zärtliche Gefühle entgegen, die er offenbar erwiderte. Schließlich sagte sie unendlich sanft: »Ich danke Ihnen, Mr. Guo. Ich wünsche Ihnen ein langes Leben und alles nur erdenkliche Glück.«
Er nickte und ging. Jetzt war er wieder der unscheinbare kleine Mann. Zweifellos trug er angesichts der Genossen, die ihn sogleich umringten, ein ironisches Lächeln zur Schau. Sie sah noch, wie er den Atlas hochhielt, den sie ihm geschenkt hatte, und die Kameraden ihn neugierig begutachteten. Da wandte sie sich zum Gehen. Bald darauf erklomm sie die Stufen zum Trommelturm.
Mr. Li wartete am Eingang auf sie. »Wo sind Sie denn gewesen?« fragte er. »Miß Bai ist Sie suchen gegangen.«
Sie sah ihn nur lächelnd an und ging an ihm vorbei.
In dem kleinen Souvenirladen oben auf dem Turm stieß sie wieder zu der Gruppe. Alle betrachteten die Repliken, die in Glasvitrinen ausgestellt waren und die man kaufen konnte.
Niemand blickte bei ihrem Erscheinen auf. Im stillen gratulierte sie ihrem Partner bei diesem Abenteuer zu seinen schauspielerischen Fähigkeiten. Seine Selbstbeherrschung war
erstaunlich. Was für ein disziplinierter Mensch! Auch sie versuchte, sich keinerlei Gemütsbewegung anmerken zu lassen und sich ganz auf die Andenken zu konzentrieren, doch Guo Musu ging ihr nicht aus dem Kopf. Was für ein denkwürdiges Erlebnis. Sie hätte nicht geglaubt, daß sich zwei so verschiedenartige Menschen - so völlig wesensfremd - in so kurzer Zeit so nahekommen könnten. Nichts geschieht rein zufällig, dachte sie, und sie wußte auch, daß sie diesen Augenblick der Harmonie und des Einverständnisses nicht so bald vergessen würde.
Und es war geschafft. Sie hatte ihren Auftrag ausgeführt. Sie hatte Guo Musu aufgespürt und Verbindung mit ihm aufgenommen. Ein triumphaler Erfolg. Sie war von einer tiefen Freude erfüllt.
Am Abend stand die chinesische Oper auf dem Programm. Mrs. Pollifax war noch reichlich erschöpft von der Anspannung, Guo Musu finden und ihm die gewünschte Auskunft
entlocken zu müssen. Wie Peter und Jenny sich verhielten, ging ihr furchtbar auf die Nerven.
Es irritierte sie im höchsten Maße.
Obwohl Jenny ein paar Jahre älter war als Peter, hatte sie sich seine feindselige Haltung inzwischen auch zueigen gemacht. Anfänglich hatten sie nur Witze gerissen und sich Anekdoten erzählt, wie sie auf dem College üblich sind. Doch allmählich waren sie dazu übergegangen, China auf die taktloseste Weise zu kritisieren. Mrs. Pollifax fand das sehr bedauerlich. Sie hatte schon ein paar im Flüsterton vorgebrachte Respektlosigkeiten im Hinblick auf Mr. Li mitanhören müssen, und am Vormittag hatten sich die beiden halb totgelacht über die Fragen, die Iris in der Cloisonnéfabrik gestellt hatte, als sie dort beim Tee saßen und sich den Vortrag angehört hatten. Jetzt zogen sie die Oper von Xian durch den Kakao.
Mrs. Pollifax war hingerissen. Es war ein schäbiges Theater, und das Publikum trug seine farblose Arbeitskleidung, doch die Bühne strahlte und glitzerte. Die farbenprächtigen Kostüme stachen ihr ins Auge. Endlich einmal leuchtende Farben, dachte sie und konnte sich daran nicht sattsehen. Mr. Li hatte ihnen zuvor erklärt, daß die alte Sage in Fortsetzungen gebracht wurde und drei Abende zuvor begonnen hatte. Die heutige Folge sollte vier Stunden dauern. Sie wollten jedoch nur bis zur Pause bleiben. Mrs. Pollifax hatte keine
Schwierigkeiten, den Handlungsablauf zu verfolgen. Die Gesten waren zwar stilisiert, doch die Bedeutung einer jeden Geste wurde noch von der überaus lebhaften Mimik unterstrichen.
Da erübrigten sich Worte. Die Handlung zeugte von Humor, den die Schauspieler glänzend zum Ausdruck brachten. Mrs. Pollifax lachte
zusammen mit den übrigen Zuschauern, obwohl sie keine Ahnung hatte, Was gesprochen wurde.
Aber Jenny gab sich nicht so leicht zufrieden und erwartete von Mr. Li, daß er jedes Wort übersetzte. Sie wiederholte seine Erklärungen laut, damit auch die anderen Mitglieder der Reisegruppe verstanden,
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