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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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ist, was ich brauche - Städte, Dörfer, Reiserouten.
    Allerdings chinesisch, was ich nicht lesen kann. Aber Guo Musu konnte das lesen - falls sie ihn überhaupt fand.
    Da stand nun Mrs. Pollifax in einem Kaufhaus in Xian, der Hauptstadt der Provinz Schensi, dem alten Kernland Chinas, von Lauschern umgeben und schüttete sich aus vor Lachen. Mit Kichern hatte es begonnen - bis ihr die ganze Komik ihrer Lage so richtig zu Bewußtsein kam. Da war es aus mit ihrer Haltung. Am Ende strahlte sie vor Freude. Ein Wunder war geschehen. Da war es nun, das langersehnte Wunder. Sie wandte sich an den Verkäufer:
    »Bitte noch so eins«, sagte sie und hielt den Atlas hoch. Sie kramte das Geld aus der Tasche, einen einzigen Yüan.
    Im Bus zeigte sie den anderen nur das Kochbuch. Peter, Jenny und Joe Forbes trugen stolz ihre Mao-Jacken und Mao-Mützen zur Schau. Sie hatten sie gleich angezogen. Iris hatte ein hübsches Lackdöschen erstanden, Malcolm eine Tuschfeder und George ein Taschentuch mit dem Aufdruck »Xian«.
    »Der gute alte Kaufzwang«, bemerkte Malcolm trocken, »wir hatten ja schon regelrecht Entzugserscheinungen.«
    Sie aßen zu Mittag. Dann besichtigten sie eine Cloisonné-Fabrik, wo man ihnen wieder Tee servierte und einen langen Vortrag hielt. Doch daran trug diesmal Iris die Schuld. Ihr fielen immer neue Fragen im Hinblick auf Arbeitszeit und Löhne ein. Schließlich wurden sie durch dunkle, staubige Fabrikhallen geführt und konnten bei der Fertigung von feingearbeitetem Cloisonnéschmuck zusehen. Dann ging es in einen Freundschaftsladen, wo sie etwas kaufen konnten. Sie besichtigten den Glockenturm und die Wildganspagode, doch am Nachmittag herrschte eine solche Glut, daß nur Jenny und Peter bis ins siebente Stockwerk
    hinaufkletterten. Und am Spätnachmittag gelangten sie zum Trommelturm. Der Augenblick der Wahrheit war für Mrs. Pollifax gekommen.

6. Kapitel
    Mrs. Pollifax stieg als letzte aus dem Minibus. Sie durfte gar nicht daran denken, daß sie wegen dieses Augenblicks um die halbe Welt geflogen war. Ihr Herz schlug stürmisch. Sie zwang sich, die Augen zuzumachen, und sagte sich immer wieder: qué será será, und in tausend Jahren ist keine Rede mehr davon. Nachdem sie sich das vorgebetet hatte wie eine Beschwörungsformel, machte sie die Augen wieder auf und sah sich um. Der Kleinbus stand in einer engen, staubigen Gasse. Zu beiden Seiten Steinmauern. Zu ihrer Linken ein Turm.
    Das mußte der Trommelturm sein. Auf dem Weg dahin ein Gewirr von niedrigen Mauern aus Lehm und Stroh. Hin und wieder ein schmaler Weg, der ins Innere dieser Hofhäuser führte.
    Doch nirgends ein Friseur. Überhaupt keine Läden, nur Mauern ringsum.
    Nur nicht in Panik geraten, sagte sie sich. Sie erwiderte das breite Grinsen eines kleinen, rundgesichtigen Kindes. Sie rief Mr. Li zu: »Ich will nur rasch ein paar Kinderfotos machen, dann komme ich nach.« Sie kniete sich in den Staub und knipste wie wild drauflos. Doch es befand sich gar kein Film in ihrer Kamera. Kaum waren die anderen ihren Blicken
    entschwunden, da glitt sie in die nächste enge Gasse und machte sich auf die Suche nach dem Friseur, ein ganzes Rudel von Kindern im Schlepptau.
    Sie hatte sich schon bald verlaufen und überließ sich ganz dem herrlichen Gefühl der Freiheit. Endlich war sie ihre Reisegruppe einmal los. Trotzdem tröstete sie sich mit dem Gedanken, daß irgendwo auch wieder ein Weg aus diesem Gewirr von grauen Mauern
    herausführte. Doch im Augenblick genoß sie es, mittendrin zu sein. Sie sah in dunkle Zimmer und winzige Höfchen. An den Türpfosten hingen Kräuter zum Trocknen. Kinder hockten im Staub und zeichneten mit einem Stock oder mit den Fingern Bilder auf die Erde. Sie kam an zwei alten Männern vorbei, die eifrig Karten spielten. Der eine hatte ein herrliches Ziegenbärtchen wie ein Mandarin. Sie nickte ihnen lächelnd zu. Die Männer verneigten sich würdevoll. Sie bahnte sich ihren Weg durch eine ganze Reihe von Gassen, wandte sich einmal nach links, dann wieder nach rechts, dann blieb sie stehen und tat so, als wolle sie ein Kind, eine Blume oder eine Haustür knipsen. Endlich gelangte sie auf eine breitere Straße und befand sich buchstäblich unter den Dächern des Trommelturms, doch noch immer
    innerhalb der Mauern des eingefriedeten Platzes.
    Hier stieß sie wenigstens auf Märkte: Stände und kleine Läden, die förmlich an den dahinterliegenden Lehmwänden klebten - und Menschen - ein Menschengewirr, wie sie es noch

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