In dein Herz geschrieben
ansah. »Einen Baseballschläger. Ich bewahre ihn in diesem Baum dort auf. Siehst du, da drüben.«
Cassandra hob den Kopf, und tatsächlich - in einer Vertiefung im Stamm lehnte ein Aluminiumschläger.
»Walton sagt, wenn jemand hierherkommt, den ich nicht kenne, soll ich einfach auf den Baum klettern und ihn von oben auf den Kopf schlagen, wenn er versucht, mir nachzuklettern.«
Waltons Anweisung beruhigte sie etwas, trotzdem verstand sie jetzt auch, weshalb Doris sich solche Sorgen machte.
»Ich habe auch noch was anderes.«
»Was denn?«
Annie Laurie verschwand im Gebüsch und zerrte eine kleine olivgrüne Kiste hervor, die aussah, als stamme sie aus Armeebeständen, und die die eine oder andere Delle aufwies. »Oma räumt dauernd mein Zimmer auf, deshalb bewahre ich hier ein paar Sachen auf.«
Aufräumen oder schnüffeln?, fragte sich Cassandra. Annie Laurie setzte sich neben sie und stellte die Kombination an dem Schloss ein. Es sah genauso aus wie das, mit dem Cassandra auf der Highschool ihren Spind versperrt hatte. Dort hatte sie ihre geheimen Schätze aufbewahrt. Dinge, von denen sie nicht wollte, dass ihre Mutter, ihr Vater oder ihre Geschwister sie fanden. Dinge, die für niemanden außer ihr von Bedeutung waren - ein Foto von Elvis Presley, den sie liebte, seit sie ein kleines Mädchen war; ihr Tagebuch, in das
sie kaum jemals schrieb, es sei denn, sie war wütend auf jemanden; ein Taschentuch mit einem Fettfleck darauf, das ein Junge fallen gelassen hatte, für den sie schon seit der zweiten Klasse schwärmte; ein paar Schokoriegel und Wimperntusche, die ihre Mutter ihr zu tragen verbot, also legte sie sie nur in der Schule auf und wischte sie ab, bevor sie nach Hause ging.
Annie Laurie hob den Deckel, sah Cassandra an und nahm etwas heraus. »Das ist die Decke, die May mir mitgegeben hat, damit ich nicht auf dem Boden sitzen muss. Ihre Oma hat sie für sie gemacht, als sie noch ein kleines Mädchen war.«
»Und benutzt du sie?«, fragte Cassandra und wünschte, die Decke läge jetzt zwischen ihr und dem sandigen Boden.
»May sagt, sie sei gemacht worden, damit man sie benutzt und nicht im Schrank herumliegen lässt, aber ich will sie nicht schmutzig machen.« Sie legte die zusammengefaltete Decke auf den Boden und nahm ein Spiralbuch heraus. »Das ist mein Journal.«
Oh, klar, heutzutage heißt das Journal, dachte Cassandra.
Als Nächstes nahm sie ein kleines Fotoalbum heraus. »Das sind Fotos meiner Familie«, sagte sie und legte sie auf ihr Journal. »Aber außer Oma und Daddy kennst du niemanden.«
Schließlich zeigte sie ihr einen Rosenquarz, den Walton ihr bei der Edelsteinmesse in Greenville gekauft hatte, eine Anglerkappe ihres Vaters, Geburtstagskarten, eine Helmschnecke, die sie nach einem Sturm gefunden hatte, und einen Umschlag mit einer mit einem rosa Band zusammengehaltenen Babylocke von ihr. »Das ist von Oma«, erklärte sie. »Sie ist die Einzige, die mir je die Haare geschnitten hat. Siehst du, am Anfang waren sie noch blond, und dann sind sie immer mehr rot geworden, bis ich drei Jahre alt war. Ich wünschte, ich wäre blond geblieben.«
»Ich habe mir immer gewünscht, ich hätte rote Haare. Und jetzt werden sie allmählich grau.«
»Daddy sagt, ihm sei es egal, welche Haarfarbe er hätte, solange sie ihm nur nicht ausfallen.«
Cassandra lachte und sah zu, wie Annie Laurie sich über die Kassette beugte und ihr eine Handvoll bunter Zopfbänder reichte. »Die haben meiner Tante Doll gehört. Die, die gestorben ist.«
»Sie sind sehr hübsch.« Cassandra fuhr mit dem Finger über die seidigen Oberflächen. »Wieso trägst du sie nicht?«
»Oma weiß nicht, dass ich sie habe. Ich habe sie aus Dolls Kommode in Ocracoke genommen. Oma hat das Zimmer nach ihrem Tod nie wieder betreten. Ich habe sie gefunden und mitgenommen, aber damals hatte ich zu große Angst, sie ihr zu zeigen. Eigentlich habe ich vor, sie zurückzulegen, vergesse sie aber immer wieder.«
»Wie lange ist sie schon tot?«
»Ich glaube, etwas über zwanzig Jahre. Daddy war damals sechzehn, und heute ist er einundvierzig.«
Erschrocken horchte Cassandra auf. Hector war jünger als sie? Nicht dass das Alter eine Rolle spielte. Keineswegs.
»Und das ist meine Mutter.« Annie Laurie reichte ihr einen weißen Passepartoutrahmen. Cassandra nahm ihn und verspürte einen Anflug von Nervosität bei der Vorstellung, gleich die Frau zu sehen, die Hector einmal geliebt hatte.
»Sie heißt Delilah, aber alle
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