In dein Herz geschrieben
nennen sie Lilah.«
Sie war schön und hätte auch genauso ausgesehen, hätte es sich bei dem Foto nicht um eine Modeaufnahme mit viel zu viel Make-up gehandelt. Ihr langes schwarzes Haar fiel ihr über eine Schulter und die Brust, und ihre Augen waren ebenfalls fast schwarz. Sie trug ein ärmelloses Paillettentop mit tiefem Ausschnitt und verströmte alles, was Cassandra nicht besaß - Selbstvertrauen, Verführung, eine Aura des Geheimnisvollen. Roter Schmollmund, Schlafzimmerblick, spitze Brüste - welcher Mann konnte dem schon widerstehen? Mit einem Mal war sie zutiefst deprimiert.
»Was ist mit ihr passiert?«
»Nichts. Sie lebt jetzt in Cape May, New Jersey.«
»Oh.« Aus irgendeinem Grund war Cassandra davon ausgegangen, dass sie tot war.
Gerade als sie das Foto zurückgeben wollte, blieb ihr Blick an der Widmung auf der inneren Umschlagseite hängen. »Meine geliebte Mutter.« Cassandra warf noch einen Blick auf Lilah - Delilah, ein Name, der perfekt zu ihr passte. Egoismus, das verriet der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Egoismus und Grausamkeit - einfach davonzulaufen und ihr Kind im Stich zu lassen. Sie schlug die Karte zu und reichte sie Annie Laurie.
»Sie ist schön«, sagte sie, weil es das einzig Nette war, was ihr einfiel.
Annie Laurie schlug die Karte auf und starrte das Foto an. »Ja. Daddy hat gesagt, er konnte den Blick nicht von ihr abwenden, als sie sich kennen gelernt haben«, sagte sie und sah Cassandra an. »Wieso mögen Jungs immer nur hübsche Mädchen?«
Weil sie oberflächliche Schweine sind, dachte Cassandra. Nein, das war nicht fair. Sie hatte einmal einen Artikel gelesen, in dem stand, Männer könnten nichts für ihre visuelle Veranlagung. Sie gehe auf prähistorische Zeiten zurück und basiere irgendwie auf dem Prinzip des Überlebens des Stärkeren. Es hatte etwas mit den Hormonen zu tun, mit Pheromonen und dem Instinkt, das beste Genmaterial für die Mutterschaft auszuwählen.
»Ich weiß es nicht, Schatz«, sagte sie. »Es liegt in der Natur des Menschen, denke ich. Schwer, dagegen anzukämpfen.«
»Daddy hat gesagt, sie hätten sich auf den ersten Blick ineinander verliebt und eine Woche danach schon geheiratet.«
Eine Woche? Gütiger Himmel. Das war doch lächerlich. Vielleicht war das Problem in Wahrheit nicht, dass Männer nur hübsche Mädchen mochten, sondern dass ihr Verstand
in Gegenwart hübscher Mädchen aussetzte und sie deshalb idiotische Dinge taten. Liebe auf den ersten Blick, Impulsivität oder Spontaneität oder wie man es ausdrücken wollte, mochte im Liebesroman recht nett sein, im wahren Leben jedoch sollte man klüger sein, besonders wenn Kinder im Spiel waren.
Aber von Romantik einmal abgesehen - wenn sie ernsthaft darüber nachdachte, war das Ganze ziemlich übel. Diese Vorstellung, dass sich Männer vor allem wegen des Äußeren in ein Mädchen verliebten, ohne den Menschen zu kennen, der sich hinter der hübschen Fassade verbarg. Funktionierten sie tatsächlich so? Sie sahen etwas, das ihnen gefiel, verliebten sich Hals über Kopf und brachten sich schier um, nur damit sie es bekamen, auch wenn es noch so schlecht für sie war. Es musste so was wie Blindheit sein, ausgelöst von etwas, was sie nicht kontrollieren konnten. Sie fragte sich, ob auch tatsächlich blinde Männer so oberflächlich waren.
Natürlich galt das nicht für Dennis. Und auch nicht für viele andere Männer, die sie kannte. »Ein paar Nette gibt es da draußen trotzdem«, sagte sie. »Manche von ihnen wünschen sich mehr als ein hübsches Gesicht. Es ist nur schwierig, sie zu finden, das ist alles.«
»Glaubst du, ich werde jemals so hübsch wie meine Mutter sein?«
»Ach, Süße.« Cassandra tätschelte Annie Lauries Kopf. »Du bist doch schon hübsch. Ehrlich gesagt, ich finde dich sogar richtiggehend schön.«
»Nein, das stimmt nicht.« Sie legte das Foto ihrer Mutter in die Kassette zurück und gab die anderen Sachen darüber.
»Entschuldige mal, aber kannst du dich etwa durch meine Augen sehen?«
Annie Laurie bedachte sie mit einem typischen Teenagerblick - so als hätte sie Zweifel, ob Cassandra ganz bei Verstand war. »Nein«, räumte sie ein.
»Na also. Du kannst nicht sehen, was ich sehe, weil du so sehr an dein eigenes Gesicht gewöhnt bist.«
»Meinetwegen.« Annie Laurie zuckte die Achseln, befestigte das Schloss und verwarf die Zahlenkombination.
»Es stimmt aber. Ich habe mal mit einer Frau zusammengearbeitet, die fast fünfzig Kilo abgenommen hat. Eines
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