In dein Herz geschrieben
und eine Frau begannen sich zu unterhalten. Die Frau wollte, dass Delilah einen Song für sie aussuchte, auf den sie bei ihrer Hochzeit mit ihrem Daddy tanzen konnte. Nachdem Delilah ihr eine Reihe von Fragen gestellt hatte, wählte sie irgendeinen schmalzigen Song namens »Butterfly Kisses« aus. Hector wusste, zu welchem Song er und Annie Laurie tanzen würden. Wann immer sie gemeinsam mit dem Boot hinausfuhren, legte er die Temptations-Kassette ein und sang »My Girl«. Sie lachte sich jedes Mal halb tot, wenn er mit dieser hohen Fistelstimme »I got sunshine on a cloudy day« anstimmte.
Er hielt die Hand aus dem Fenster und spürte die warme Luft zwischen seinen Fingern. Er liebte es, bei Nacht zu fahren, ganz allein in seinem Laster, im Schein der grünen Armaturenbeleuchtung, während die Musik aus dem Radio drang und in den Häusern entlang der Straße die Lichter brannten. Es war, als sitze man in einer sicheren kleinen Blase, außerhalb von Zeit und Raum, unerreichbar für die Welt, frei von Sorgen und Nöten, mit dem Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben.
Unmittelbar hinter Maysville sah er etwas, bei dem er sich fragte, ob er vielleicht zu lange Delilahs Sendung mit all diesen Frauen zugehört hatte, die über ihre Hochzeit faselten. War das eine Frau, deren Oberkörper aus einer Limousine ragte, halb Braut auf einer schwarzen Hochzeitstorte? Es ging so schnell, das kurze Aufblitzen eines Schleiers, vielleicht war es auch das ihr ums Gesicht wirbelnde Haar. Es hatte etwas Wildes, fast Gefährliches, wie sie mit ausgebreiteten Armen dastand und eine Flasche oder etwas Ähnliches schwenkte. Es musste ein Trugbild sein, oder seine Fantasie spielte ihm einen Streich.
Sie hatte etwas fast Kindliches an sich gehabt, eine Hilflosigkeit, die ihn an Annie Laurie erinnerte, als sie noch klein war. An die Art, wie sie mit erhobenen Armen neben ihm stand und darauf wartete, dass er sie bemerkte und hochhob. Sie hatte nie ein Wort gesagt, nie geweint, sondern immer nur darauf gewartet, dass sie bemerkt wurde. Vielleicht hatte diese Frau als kleines Kind für ihren Daddy genauso ausgesehen. War es, da auch er der Gattung Vater angehörte, nicht seine Pflicht, anzuhalten und herauszufinden, ob mit ihr alles in Ordnung war? Ihr Mann könnte im Wagen eingeschlafen sein, oder er hatte einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Vielleicht hatte er sich auch auf den Weg gemacht, Hilfe zu holen, und sie ganz allein zurückgelassen.
Verdammt noch mal, dachte er, bremste und machte kehrt.
Ein Stück vor der Limousine blieb er stehen, so dass sie von den Scheinwerfern des Lasters erhellt wurde. Die Frau war verschwunden, dafür schwankte der Wagen hin und her. Toll, gerade rechtzeitig, um Zeuge der Hochzeitsnacht zu werden. Er drückte auf die Hupe, worauf das Schwanken aufhörte, ehe es erneut begann, diesmal noch heftiger. Verdammt, die beiden würden doch nicht einfach weitermachen, wenn sie wussten, dass da draußen jemand stand und zusah. Er stieg aus
und blieb einen Moment lang hinter der Fahrertür stehen, ehe er auf die Limousine zuging. Ein seltsames Gefühl beschlich ihn. Auch wenn das Schwanken des Wagens ein eindeutiges Zeichen war, hatte ihm diese Frau doch zugewinkt, als wolle sie ihn zum Anhalten bewegen. »Hallo?«, sagte er, als er sich auf der Höhe der hinteren Wagentür befand. Das Schwanken hörte auf. Hector beugte sich vor, versuchte, ins Wageninnere zu spähen, und machte einen erschrockenen Satz, als er etwas Großes, Weißes an der Scheibe sah. Es sah aus wie ein Hinterteil, ein nacktes Hinterteil, und zwar ein großes. Gütiger Himmel, die gingen ja mächtig zur Sache. Er hatte schon von Leuten gehört, die es besonders erregend fanden, es in der Öffentlichkeit zu treiben. Er hingegen zog die Variante mit Bett, Privatsphäre und viel, viel Zeit vor.
Zum Glück sprang der Laster gleich beim ersten Versuch an, doch ehe er losfahren konnte, tauchte die Frau erneut aus dem Schiebedach auf. Sie trug lediglich einen Büstenhalter und winkte ihm hektisch zu, wobei sie mit den Händen auf das Wagendach einschlug und irgendetwas rief. Seine Pfadfinderehre verbot ihm, einfach loszufahren und sie zurückzulassen, auch wenn er es am liebsten getan hätte. Er lehnte sich aus dem Fenster.
»Warten Sie!«, rief sie. »Warten Sie auf mich.«
Hector stieß einen Seufzer aus, einen tiefen, langen Seufzer, und stieg wieder aus dem Laster.
»Ma’am?«
Sie ließ die Arme sinken und kreuzte sie über der Brust,
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