In dein Herz geschrieben
nicht mehr aus dem Kopf, der von einem Bären getötet wurde, als er in einem Hubschrauber saß. Ein Hubschrauber. Gütiger Himmel. Wenn ein Bär so etwas schaffte, welchen Schutz bot dann ein Auto? Für einen Bären sah es wahrscheinlich wie eine große Dose Büchsenfleisch aus.
Sie griff nach unten, hob die Champagnerflasche an die Lippen und kippte das letzte Drittel hinunter. Dann packte sie die Flasche am Hals - bereit, sie jedem Wesen an den Kopf zu werfen, das sich ihr nähern mochte. Ein angemessener Abschluss des schönsten Tages in ihrem Leben - im Schiebedach eines Wagens zu stehen, während sie auf ein wildes Tier wartete, das sie auffraß. Der rote Faden in ihrem Leben: Nichts lief jemals so, wie es sollte. Und stockbetrunken war sie auch noch. Sie war noch nie in ihrem Leben betrunken gewesen, und ihre Mutter wäre entsetzt, könnte sie sie so sehen. Aber sie war ja nicht hier. Genau darauf lief es hinaus, richtig? Am Ende sind wir alle allein. Niemand kann einen davor bewahren - keine Mutter, keine Schwester, kein Ehemann und auch kein Kind. Nur du und die Wildnis, im Angesicht des Unbekannten
mit nichts als einer leeren Flasche Champagner in der Hand.
»Mama?«, flüsterte sie.
Gott, wie laut es hier im Wald war. Die Leute glaubten immer, auf dem Land sei es ganz still und friedlich, aber das stimmte nicht. Die Insekten veranstalteten einen Höllenlärm. Normalerweise wenn sie in ihrem eigenen Garten saß, liebte sie diese Geräusche, aber heute Nacht würde sie sie am liebsten anschreien, endlich die Klappe zu halten, damit sie hören konnte, ob sich ihr etwas näherte. Andrerseits war es vielleicht ein gutes Zeichen, dass sie einen solchen Lärm machten. Solange sie ihren Tätigkeiten nachgingen, etwa der Paarung, war alles in Ordnung.
Paarung. Ja, genau das war der Grund für diesen Aufruhr. All diese Insekten befanden sich auf der Jagd nach einem Gefährten, schrien lautstark nach Sex. Auch Cassandra hätte am liebsten geschrien. Geschrien, bis ihr Blut aus den Ohren lief und Blitze aus ihren Fingern schossen. Genau in diesem Moment sollte sie mit Dennis in einem Doppelbett im Grove Park liegen und die vergangenen zwanzig Jahre wettmachen, in denen sie das Leben einer beschissenen Nonne geführt hatte.
Eigentlich könnte sie ja trotzdem schreien. Vielleicht fühlte sie sich dann besser. Sie öffnete den Mund und rief so laut sie konnte »Schnauze«, doch es half nicht. Die Insekten machten weiter Lärm, die Sterne standen funkelnd am Himmel, und sie ragte noch immer zur Hälfte aus dem Schiebedach, eine alberne, betrunkene Idiotin.
Der Schleier ging ihr allmählich auf die Nerven, weil er ihr ständig ins Gesicht wehte. Also riss sie ihn ab und überließ ihn dem Wind, der ihn über den Straßengraben hinweg ins Gebüsch trieb, wo er sich in irgendeinem Strauch verfing. Das Ding hatte hundert Dollar gekostet. Hätte sie schon früher gewusst, was sie heute wusste, hätte sie den genommen, den sie für $ 19.99 bei Wal-Mart gesehen hatte. Dort gab es drei
oder vier verschiedene in Plastik verpackte Modelle, die in der Kurzwarenabteilung an der Wand aufgereiht hingen. An diesem Tag waren sie ihr noch nicht einmal aufgefallen. Sie hatte nach Nähgarn gesucht, als sie die Stimme eines Mädchens hinter sich hörte. »Gibt es hier eigentlich auch Hochzeitsschleier?«, hatte sie gefragt. »Du kannst davon ausgehen, dass du bei Wal-Mart alles bekommst«, hatte die Mutter erwidert, was das Mädchen mit einem Schnauben quittierte. »Aber einen Mann bekommt man bei Wal-Mart wohl nicht, oder?« Cassandra hatte aufgesehen und festgestellt, dass das Mädchen recht hübsch war und mühelos einen Mann finden sollte. Weshalb war sie so schnippisch?, hatte sie sich gefragt. Während des restlichen Einkaufs hatte sie sich über die Vorstellung amüsiert, bei Wal-Mart einen Mann zu finden, vielleicht sogar eine Sonderanfertigung. Könnte sie jeden bekommen, den sie sich wünschte, und wäre Dennis im Sortiment, würde sie sich dann für ihn entscheiden? Damals hatte sie automatisch Ja gesagt, aber mittlerweile war sie sich nicht mehr so sicher.
Oh, der Wind. Es roch nach Strand. Sie war so dicht am Meer, höchstens zwanzig Meilen entfernt, oder vielleicht nicht einmal so viel. Vielleicht sollte sie zu Fuß weitergehen. Hätte sie nur nicht solche Angst, aus dem Wagen zu steigen. Sie schlug mit den Handflächen auf das Dach ein, vor Wut, weil der Wagen so kurz vor dem Ziel schlappgemacht hatte. Fast hätte sie
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