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In dein Herz geschrieben

Titel: In dein Herz geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Duncan Andrea Brandl
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es geschafft. Beim Klang dieses Wortes wurde ihr beinahe übel. So viele Dinge hatte sie fast getan. Sie hatte fast das College abgeschlossen, wäre fast schlank geworden, hätte fast geheiratet. Gäbe es Fast -Auszeichnungen, hätte sie ein ganzes Regal davon.
    Aber natürlich war sie selbst schuld. Wäre sie dummerweise nicht zuerst nach Asheville gefahren, hätte das Benzin ausgereicht. Sie aber war einfach losgefahren, und ehe sie sich’s versah, hatte sie vor dem Grove Park gestanden und zu dem armen
Pagen hinübergesehen, der ihr bedeutete, das Wagenfenster runterzulassen. Schließlich hatte er resigniert die Achseln gezuckt und eine Grimasse geschnitten. In diesem Moment kam ihr ein Gedanke - sie war genauso wie diese Babyschildkröten, von denen Tante May erzählt hatte. Sie schlüpften am Strand und sollten eigentlich geradewegs zum Wasser laufen, aber manche verirrten sich und schlugen den umgekehrten Weg ein, es sei denn, jemand drehte sie um und schickte sie in die richtige Richtung. Und genau das tat der Page, als sie endlich das Fenster runterließ. »Guten Abend, Ma’am«, sagte er und musterte ihr Brautkleid und den Schleier, dann glitt sein Blick auf den leeren Beifahrersitz, auf den Boden und schließlich zum Fond des Wagens. Er räusperte sich. »Äh, kommt Ihr Mann später nach?«
    War es das, was sie sich vorgestellt hatte? Dass Dennis nachkommen und sie im Grove Park übernachten würden, ohne vorher geheiratet zu haben? Nur eine Liebesnacht, und danach würde jeder seiner Wege gehen? Nein, dachte sie. Wenn das alles war, was sie wollte, könnte sie ebenso gut den Pagen fragen, ob er mit ihr schlafen wollte. Bei dem Gedanken musste sie lächeln, doch offenbar hatte ihr Gesichtsausdruck ein klein wenig verrückt gewirkt, denn er wich einen Schritt zurück. »Ma’am?«, fragte er. »Stimmt etwas nicht?«
    Ach, Schätzchen, dachte sie. Wo warst du letzten Monat, letzte Woche, heute Morgen, als diese Frage noch etwas bewirkt hätte. Sie nickte, einen Finger bereits auf dem elektrischen Fensterheber. Sie ließ den Motor an und schoss so schnell davon, dass es ein Wunder war, dass sie den Pagen dabei nicht über den Haufen fuhr. Sie ließ das Grove Park hinter sich, verließ Asheville, die Berge. Sie wusste nur eines: Sie musste es zur Interstate schaffen, zum Highway, der sie wegbrachte, weg von allem, was sie kannte, von allem, was im letzten Jahr über sie hereingebrochen war. Erst als sie nach dem Anruf bei Ruth Ann wieder unterwegs war, wurde ihr
bewusst, wohin sie fuhr. Sie musste ans Meer, an einen Ort, wo sie wieder atmen konnte. Das Meer und den Himmel, das brauchte sie - Dinge, die um so vieles größer waren als sie selbst, dass ihr gar nichts anderes übrig blieb, als sich in ihrer Nähe besser zu fühlen.
    Cassandra breitete die Arme aus und ließ den Kopf auf das Wagendach sinken. Sie schloss die Augen und versuchte sich das Meer vorzustellen, wie es in diesem Moment aussehen mochte, dunkel und geheimnisvoll, mit weißen Schaumkronen, die unablässig dahintrieben, die Lichter eines Shrimpkutters irgendwo auf dem Wasser, der Scheinwerfer des Leuchtturms von Cape Lookout in weiter Ferne und vielleicht ein Wetterleuchten, das den Horizont erhellte.
    In der Ferne dröhnte etwas. Etwas Großes, Lautes. Cassandra erstarrte, fuhr abrupt hoch und lauschte auf das Geräusch, das die Symphonie der Insekten übertönte. Natürlich war es kein Bär. Das war ihr klar, auch wenn ihr Herz deswegen keinen Schlag langsamer pochte. Es war ein Wagen, der aus Maysville kam und Richtung Strand fuhr. Sollte sie auf Nummer sicher gehen und sich im Wagen verstecken, falls es ein geistesgestörter Vergewaltiger war, oder sollte sie den Wagen heranwinken und den Fahrer um Hilfe bitten? »Versteck dich, du Idiotin!«, schrie alles in ihr. Doch ehe sie den Rückzug in den Wagen antreten konnte, tauchte hinter der Biegung ein Scheinwerferpaar auf und erfasste sie. Sie erstarrte, auf Gedeih und Verderb jenem Menschen am Steuer des Lasters ausgeliefert, wer immer das sein mochte. Ein Laster, ein großer, so wie A. J. einen fuhr. Doch die Hoffnung, ihr Schwager könnte sie hier gefunden haben, brauchte sie sich gar nicht zu machen. Sie hob den Arm, um ihre Augen gegen die hellen Lichter abzuschirmen, die sich inzwischen beinahe auf ihrer Höhe befanden, und umfasste mit der anderen Hand den Hals der Champagnerflasche. Sie wartete.

6
    Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, diese verrückte Delilah einzuschalten. Er

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