In dein Herz geschrieben
Treppe des weißen Hauses gelesen, als sie plötzlich ein Scharren auf dem Holz über sich hörte. Als sie aufsah, erblickte sie ein pelziges weißes Gesicht mit heraushängender rosa Zunge, das durch eine Lücke in den Planken lugte. Augenblicke später kam er die Treppe herunter, lief auf sie zu, stellte seine Vorderpfoten auf ihre Beine, starrte sie eine geschlagene Minute lang an und gab ein einziges Bellen von sich - das eher ein Japsen als ein Bellen war. Sie lachte, worauf er mit dem Schwanz zu wedeln begann. Es lag auf der Hand, dass er spielen wollte, also stand sie auf, lief los und ließ sich von ihm durch den Sand jagen, ehe sie den Spieß umdrehte und ihn herumscheuchte. Er scheute das Wasser und blieb stattdessen dicht am Ufer stehen und wich jedes Mal zurück, wenn eine Welle heranschwappte. Es war so lustig zuzusehen, wie er knurrte und bellte, wenn das Wasser auf ihn zukam.
Nach ein paar Minuten rief jemand vom Haus nach dem Hund. Zuerst verstand Annie Laurie die Worte nicht, erst als sie auf die Idee kam, einen Blick auf seine Hundemarke zu werfen, begriff sie. Es war der seltsamste Hundename, den sie je gehört hatte. Sugar. Dann erkannte sie auch den Namen seiner Besitzerin - Mrs. Evelyn Lundy. Das war die Lady, die May als alte Hexe bezeichnete - die, die sich weigerte, das Licht auf ihrer Veranda auszuschalten, obwohl May sie freundlich darum gebeten und erklärt hatte, es helfe den Schildkröten bei der Brut. Das große weiße Haus war das Schloss der alten Hexe, und der arme kleine Sugar war ihr Gefangener, der nur einmal pro Tag hinausdurfte.
Das war der Grund, weshalb Annie Laurie jeden Morgen herkam und mit Sugar spielte. Weil niemand sonst es tat.
Normalerweise konnte sie es kaum erwarten, zur Treppe zu kommen und ihr Buch aufzuschlagen. Diese Woche war es Überredung von Jane Austen. Sie wünschte, ihre Oma hätte nie die Liste mit diesen uralten Schinken aus der Bücherei bekommen. Manche davon waren ja ganz nett, wenn auch ziemlich schwierig zu lesen, weil die Leute damals so anders gesprochen hatten. Es kam vor, dass sie einen Abschnitt zweioder gar dreimal lesen musste, um seinen Inhalt zu begreifen. Wahrscheinlich hatte sich ihre Oma für dieses hier entschieden, weil die Bibliothekarin gemeint hatte, es sei eine Romanze. Junge, Junge, was für eine Überraschung! Das hatte nicht im Geringsten mit den Liebesromanen zu tun, die ihr gefielen. Ihre Oma hielt sich für wahnsinnig raffiniert, weil sie die Bücher mit diesen Stoffeinbänden versah, damit niemand das Titelfoto erkennen konnte, dabei wusste doch jeder, dass sich halb nackte Piraten, Ritter und Burgfräulein darunter verbargen. Im Moment las sie eines mit dem Titel Die Hure des Schmugglers .
In puncto Romantik bevorzugte Annie Laurie Anne Shirley und Gilbert Blythe aus Anne auf Green Gables , doch vor die Wahl gestellt zwischen Gilbert und Jim aus den Trixie-Belden-Büchern, fiele ihr die Entscheidung schwer. Sie waren beide so toll.
Sie hatte großes Mitleid mit Anne Elliot in Überredung , weil ihr Vater und ihre Schwestern sie so schlecht behandelten. Der Teil, den sie gerade las, war jedoch ganz okay, weil Anne und die anderen gerade über ein Feld gingen und Anne schrecklich müde wurde, so dass Captain Wentworth sie in seiner Kutsche mitnahm. Annie Laurie spürte, dass sie diesen Captain Wentworth wohl gern haben könnte.
Sugar lag mit halb geschlossenen Augen neben ihr, als Mrs. Lundy ihn rief. Er sprang nicht auf wie sonst, sondern blickte
Annie Laurie mit seinen traurigen Augen an, als wolle er sagen: Bitte, bitte, mach, dass ich nicht zurück muss. Mrs. Lundy rief noch mal nach ihm, und Annie Laurie bemerkte den besorgten Unterton in ihrer Stimme. »Du solltest lieber gehen, Sugar«, sagte sie, doch er machte keine Anstalten aufzustehen.
Wenig später hörte Annie Laurie Mrs. Lundy näher kommen. Wahrscheinlich ging sie zum Pavillon am Ende auf der Düne. »Sugar!«, flüsterte Annie Laurie. Was, wenn Mrs. Lundy die Treppe herunterkam, wütend wurde und ihr verbot, hier zu sitzen? »Geh schon, Sugar, los.« Sugar stand auf, trottete unter der Treppe hervor, blickte sich jedoch noch einmal nach Annie Laurie um. »Los, geh schon!«
»Wer ist da unten?«, hörte sie eine Stimme.
Annie Laurie sah Sugar an. Da siehst du, was du angerichtet hast, schimpfte sie im Stillen. Sie kroch unter den Stufen hervor und stand auf. »Wer bist du denn? Was machst du dort unten?«, fragte die Stimme über ihrem Kopf.
»Mrs.
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