In dein Herz geschrieben
verliebt.« Oh, das ist ja richtig schlau, dachte sie und machte einen Schritt rückwärts, um zu signalisieren, dass sie jetzt gehen musste.
»Nein.« Mrs. Lundy schüttelte den Kopf, ehe sie innehielt. »Oh. Du meinst ihren Mann. Nun, ja, sie hat ihn geliebt. Aber nicht wie Alastair. Ohne ihn konnte sie nicht leben.«
»Wo ist er jetzt?«
»Das weiß sie nicht. Sie hat ihn seit fünfzig Jahren nicht mehr gesehen.«
»Oh.« Annie Laurie machte noch einen Schritt rückwärts. »Tja, dann, ich schätze, sie hat … ich meine, Sie haben dann wohl ohne ihn gelebt, oder?«
Ein kleines trauriges Lächeln spielte um Mrs. Lundys Mundwinkel. »Hat sie das?«
In diesem Moment bellte Sugar, und Annie Laurie fuhr zusammen. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie. Sie wollte weg von hier, bevor Mrs. Lundy sie ermahnen konnte, sich von ihrer Treppe und ihrem Hund fernzuhalten. Sie lief über den festgebackenen Sand, dann blieb sie noch einmal stehen und drehte sich um. Da standen sie, so weiß, alle beide, wie eine Gespensterlady und ihr Gespensterhund.
Er kam mit dem Mond. Seine kantige Gestalt erschien wie ein dunkler geometrischer Schemen vor der Fensterscheibe. Er stand reglos da, während sie sich die Decke bis unters Kinn zog, ihn durch das Tal zwischen ihren Knien ansah und sich
fragte, worauf er wartete. Sie hatte es ihm doch gesagt, oder nicht? Sie hatte ihm gesagt, es sei vorbei, hatte gesehen, wie ungläubig er sie angestarrt hatte, bis sie ernst machte und ihm von Donald erzählte. Es war schließlich nur eine Urlaubsliebe gewesen, ein Strohfeuer, das schon bald von allein wieder erloschen wäre, deshalb war es nicht schlimm, es auf der Stelle mit einem Kübel kaltem Wasser zu erledigen.
Morgen würde sie den Zug nach Charlottetown nehmen, Donald heiraten und mit ihm nach Amerika gehen, um ein neues Leben zu beginnen. Sie würde ihre Familie, die Insel und Kanada hinter sich lassen, alles und jeden, den sie kannte. Sie und Donald würden sich in Norfolk niederlassen - anscheinend kam sie nicht vom Meer los -, wo sie in einem schönen Haus leben, Kinder bekommen und nie wieder an zu Hause denken würde. Alles wäre neu und wunderbar, und der Atlantik würde niemals zufrieren, so wie hier. Die Sonne würde auf den Wellen tanzen und sich den ganzen Tag in den Fenstern spiegeln, ohne dass sich jemals eine graue Regenwolke vor sie schob.
Er bewegte sich, versuchte, den Fensterriegel zu öffnen, doch der war verschlossen. Evelyn hielt den Atem an. Sie fragte sich, ob seine Liebe groß genug war, die Scheibe einzuschlagen und damit zu riskieren, dass ihr Vater aufwachte. Er zögerte, ehe er sich abwandte, als wolle er gehen. Sie sah sein Profil, so schmal und hoch gewachsen, ein Anblick, der sich bis in ihr Innerstes schnitt. Blitzartig schlug sie die Decke zurück und schob den Riegel auf. Der weiße Stoff ihres Nachthemds spannte, als sie die Beine übers Fensterbrett schwang. Er hob sie hoch, presste sie an sich, flüsterte, dass sie ihn niemals verlassen dürfe, sonst würden sie zusammen weglaufen, weit, weit weg.
»Also gut«, sagte sie und lachte. Sie schlang die Beine um seine Taille, hielt ihn fest umklammert, die Wange an seine Schulter gelegt, als er durch den Garten schlüpfte, um die
Scheune herum, durch die Bäume und über den Pfad, der zum Meer hinunterführte. Nur noch eine Nacht, das war alles, was sie verlangte, und dann würde sie ihn seinen Schweinen und Kartoffeln und seiner zukünftigen Bäuerin überlassen, wahrscheinlich der dunkelhaarigen stämmigen Sally Robertson, die seit Monaten ein Auge auf ihn geworfen hatte und mit Freuden die Lücke füllen würde, die Evelyn hinterließ, wenn sie erst einmal fort wäre. Sally gehörte in diese Welt, so wie Evelyn es niemals könnte und es auch niemals wollte. Die schreckliche Wahrheit war, dass Alastair und sie nicht zusammengehörten, auch wenn sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher wünschte, als jede Faser seines Körpers in sich aufzunehmen, ihn zu verschlingen, so dass er niemals einer anderen gehören konnte. Sie wollte ihre Finger in seinem Haar vergraben und ihn wie ein wildes Pony reiten, hinaus in die Nacht, und niemand würde sie jemals wiedersehen. Der arme Donald würde sich sehr grämen, würde sich fragen, was aus Evelyn, seiner strahlenden Schönheit, geworden war. Sie und Alastair würden zu einer Legende auf der Insel werden, so berühmt wie Romeo und Julia. Nur dass sie nicht sterben würden. Sie würden für immer in einer
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