In deinem Schatten
eine Tischlampe aus Bronze in Form einer tanzenden Elfe, ein Schrank voller Kostüme und Schleier und das Poster eines Gemäldes von Alma Tadema an der Wand. Aus der Ferne hörte man in der Eleventh Avenue ein Auto hupen – New York war die Stadt, die niemals schlief –, und in der Wohnung nebenan spielte leise Musik. Auf dem Kissen neben Maddie schlief Baby.
Von der anderen Seite des Vorhangs war kein Laut zu hören. Tessa hatte bereits tief und fest auf Sandys rosa- und türkisfarbener 60er-Jahre-Couch geschlafen, als Maddie vom Al-Medina nach Hause gekommen war. Sie hatte nicht einmal mehr das Licht eingeschaltet, nachdem sie die Wohnungstür mit der Sicherheitskette und dem Sperrbügel verschlossen hatte und auf Zehenspitzen in ihre Ecke des Zimmers geschlichen war.
Die Erinnerung an Phils Lippen war – obwohl es nur ein Traum gewesen war – immer noch sehr präsent.
Und da war immer noch die Erinnerung an seine Hände – die Hände sowohl eines Arbeiters als auch eines Pianisten.
Sein Körper auf ihrem …
Das Lächeln um seinen Mund, als er erklärt hatte, dass er trotz
zwei Füßen in einem Fettnapf
das Weite suchen könnte, und wie zerknirscht er gewesen war, weil er glaubte, er hätte sie verärgert.
Maddie fragte sich, ob sie wieder mit ihm zusammen sein würde, wenn sie jetzt einschliefe.
Wir sind in Sicherheit
, hatte sie in ihrem Traum gesagt. Bloß traute sie ihren Träumen nicht mehr.
Um Baby nicht zu stören, drehte Maddie sich vorsichtig auf die Seite, schaltete die Bronzelampe ein und holte ihre Tarotkarten aus der untersten Schublade ihres Nachttisches.
Sie hatte festgestellt, dass man als Kartenlegerin ganz ähnliche Erfahrungen machte wie als Bauchtänzerin: Ständig wurde man mit den Josis dieser Welt über einen Kamm geschoren. Die meisten Leute, die einen Termin in dem kleinen Hinterzimmer des Buchladens mit ihr vereinbarten – oder auch die, die ohne Termin mit den Worten
Hey, kannst du für mich mal schnell in die Zukunft schauen?
hereinschneiten –, hatten eine fixe Meinung davon, was Tarotkarten waren und was sie konnten. Wobei diese vorgefassten Meinungen von Mensch zu Mensch dermaßen unterschiedlich waren, dass Maddie sich manchmal fragte, ob alle von derselben Sache redeten.
78 Symbole.
Bilder, die für Wahrheiten und bestimmte Situationen oder auch ein Zusammentreffen mehrerer möglicher Ereignisse standen.
Wenn es ein Muster, ein Prinzip des Lebens – also des sogenannten All-Seienden – gibt, hatte ihre Lehrerin ihr erklärt, wird dieses Muster in den Karten sichtbar. Es ordnet sich automatisch so, wie Eisenspäne in einem magnetischen Feld. Diejenigen, die die Karten berühren, haben Einfluss auf das momentane Muster des All-Seienden. Und diejenigen, die die Karten deuten, erkennen verschiedene Bedeutungen in der Gruppierung der Karten.
Wenn Maddie die Tänze der arabischen Welt und der Mahgreb-Länder als ihren Weg zu persönlicher Selbstverwirklichung und zu ihrem Glück bezeichnete, dann waren die Karten eine Parallelstraße, auf der sie mit der Welt in Verbindung trat. Sie konnte sich diese beiden Wege nicht anders vorstellen, als eine in einander verschlungene Kombination.
Zumindest sollten die Karten mir ein paar Hinweise darauf geben, wer dieser Mann ist, dachte Maddie und holte aus derselben Lade eine grüne Untertasse aus Glas heraus, auf der eine kleine Duftkerze stand.
Und ein paar Hinweise darauf, ob ich vielleicht verrückt geworden bin, weil ich etwas für ihn empfinde …
Die Karten könnten mir vielleicht sogar sagen, ob er die flüsternde, gespenstische Gestalt war … oder warum er mit einer Gegenfrage reagiert hat, als ich wissen wollte, ob er sonst noch jemanden im Haus gehört hat.
Ihre Hände zitterten ein bisschen, als sie die Kerze anzündete und die Nachttischlampe ausknipste.
Was für eine Art von Antwort ist
“Du etwa?”?
Maddie atmete drei Mal tief durch und mischte die Karten.
Nach kurzem Zögern wählte sie den König der Pentakel als Symbol für Phil. Pentakel, auch Münzen oder Scheiben genannt, symbolisierten die Erde, die Handwerker und Künstler und standen für Geld und Besitz – womit Phil nun ja nicht gerade gesegnet war. Maddie nahm den König also als Symbol für einen dunkelhaarigen Mann mit braunen Augen, der vom Sternzeichen – da gestern sein Geburtstag gewesen war – Steinbock, ein Erdzeichen, war. Sie hätte eigentlich auch den Ritter der Pentakel nehmen können – Phil war, wie die Ritter, ein
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