In deinem Schatten
öfter?”, fragte sie, während ihre Mitbewohnerin ihre abgetragenen, durchgeschwitzten Strumpfhosen aus der Sporttasche nahm, ihre Trainingssachen für den morgigen Tag herauslegte und ihre Bettwäsche aus der Truhe nahm, die gleichzeitig als Couchtisch fungierte. “Für dich spielen?”
“Phil?” Tessa wirkte erstaunt. Dann lächelte sie. “In dieser Hinsicht ist er einfach toll. Er sagt: ‘Wenn ich ohnehin schon hier schlafe, kann ich mich genauso gut ein bisschen nützlich machen’. Als hätte er den ganzen Tag mit seiner eigenen Arbeit nicht schon genug am Hals, oder? Und dazu kommen all die frechen Rotzlümmel, denen er in jeder freien halben Stunde in seinem Studio Klavierunterricht gibt. Warum bist du übrigens heute nicht hereingekommen?”
“Weil du gerade getanzt hast”, sagte Maddie. “Und ich weiß, dass du den Ballettsaal selten genug für dich allein hast.”
Tessa, die wie eine zerzauste Elfe in ihrer rosa Strumpfhose im Schneidersitz auf der Sofalehne saß, hörte auf, Haarnadeln aus ihrem schwarzen Dutt zu ziehen. “Du bist so lieb”, sagte sie leise. “Ich glaube, du bist die einzige Freundin, die ich habe, die nicht hereinplatzt und glaubt, dass ich auf der Stelle alles stehen und liegen lasse, weil es etwas
wahnsinnig
Wichtiges zu besprechen gibt. Danke, Maddie.” Sie streckte ihre langen Beine aus, hopste vom Sofa, schlenderte zum Kühlschrank und kam mit einem großen Glas voll Orangensaft zurück. “Habe ich halbwegs gut getanzt? Hobbs und ich werden beim Vortanzen unter anderem einen Pas de deux darbieten.” Hobbs war der talentierteste männliche Ballettschüler, ein durch und durch schwuler und durch und durch sympathischer junger Mann aus Detroit. “Meistens habe ich den Eindruck, dass ich nach den Sprüngen gut runterkomme, aber manchmal komme ich ins Wackeln. Die ABA nimmt nur …”
Sie unterbrach sich und schüttelte den Kopf. “Entschuldige. Ich sitze hier und komme vom Hundertsten ins Tausendste. Das ist wahrscheinlich genauso interessant, wie mir beim Haarebürsten zuzusehen. Wie war dein Abend?”
“Abgesehen von der Frau, die wollte, dass ich ihr die Karten für ihre Katze lege? Und ihr sage, warum das Kätzchen den neuen Chihuahua nicht akzeptiert, den sie sich erst gestern zugelegt hat? Tja, bis auf diese Kleinigkeiten war der Abend ziemlich ruhig. Was hältst du von Phil? Ist er in Ordnung?”
“Oh, er ist einfach klasse.” Tessa begann ihr Haar zu bürsten. Sie sah ziemlich erschöpft, mitgenommen und – trotz der Muskeln, die auf ihrem Bauch, den Armen und ihrem Rücken deutlich erkennbar waren – sehr zerbrechlich aus. “Du bist doch nicht böse auf ihn, oder? Er hat mich nämlich danach gefragt.”
Phils Hände auf ihren Wangen, der warme Sand unter ihr … Ihn zu riechen, zu spüren …
Die schwarz-gelbe Karte mit dem Teufel, der ihr aus einem Gewirr von Schwertern entgegengegrinst hatte …
Der einstürzende Turm …
“Nein.”
Nun lächelte Tessa wieder. Sie wirkte erleichtert. “Ich habe ihm alles erzählt, was du mir erzählt hast – dass der Bauchtanz sich aus einem der ältesten Fruchtbarkeitstänze der Welt entwickelt und entlang der Seidenstraße verbreitet hat. Und dass Bauchtanzelemente im Flamenco und in der Musik der Roma und in vielen total seriösen Tänzen zu finden sind. Und er hat gleich gesagt: ‘Ach
deshalb
hängen sich die Damen also Diamanten und Fransen auf ihre sämtlichen sekundären Geschlechtsmerkmale’.”
Als Tessa nun Phils leicht sarkastisches Lächeln geradezu perfekt nachmachte, musste Maddie laut lachen. Dann überlegte sie, wie wohl die wild flirtende Josi und die Fruchtbarkeitstänze der Seidenstraße zusammenpassten, und brach gleich noch einmal in Gelächter aus. “Und was hast du darauf gesagt?”
“
Würdest du das nicht auch gern tun?
Und er hat gelacht.”
Maddie versuchte, sich vorzustellen, wie der Teufel auf der Karte über sich selbst lachte. Es gelang ihr nicht.
“Er liebt Musik wirklich”, fuhr Tessa nun leiser fort. “Du solltest ihn einmal spielen hören. Sogar dann, wenn er nur in den Ballettstunden spielt, ist es wie … Es geht einem richtig zu Herzen. Er ist einer von den Leuten, die ein mathematisches Muster in Bachs Musik erkennen können, du weißt schon …”
Die Leidenschaft, Leichtigkeit und großartige Technik seines Klavierspiels waren also nicht nur ein Vorgeben des Taktes, wenn Tessa ihre Ballettsprünge machte, sondern ein spielerisches Vergnügen. Genau das
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