Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In deinem Schatten

In deinem Schatten

Titel: In deinem Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hambly
Vom Netzwerk:
war es auch, was Maddie mit Tanzen verband – egal, ob es sich um Ballett, Hip-Hop oder indische Tempelriten handelte.
    Tessa streckte sich und nahm dann ihr Sailor-Moon-Nachthemd aus der kleinen Lade mit ihren Habseligkeiten. “Ich werde ihn schon noch überzeugen. Derzeit geht seine Meinung noch in die Richtung
Oh, Bauchtanz
…” Sie imitierte ihn wieder, indem sie eine Augenbraue arrogant hochzog. “Ich glaube, man muss ihm noch einiges beibringen.”
    “Komm mit zu mir nach Hause, Jungchen”, säuselte Maddie in bester Mae-West-Manier, “ich werde dir schon beibringen, wie es geht.”
    Vor lauter Kichern kriegten sie sich fast nicht mehr ein.
    In derselben Nacht allerdings wachte Maddie auf, weil sie hörte, dass sich auf der anderen Seite des Trennvorhangs etwas bewegte. Als sie ins Wohnzimmer trat, sah sie Tessa, die im Nachthemd an der Wohnungstür stand und gerade versuchte, den Sicherheitsbügel zu entriegeln. Als Maddie “Tessa, was ist los?” sagte und zu ihr eilte, zuckte Tessa zusammen, geriet ins Wanken und versuchte, sich am Türknauf festzuhalten. Im unnatürlich blauen Licht, das von der Straße ins Zimmer fiel, sah man die panische Angst in Tessas dunklen Augen. Nachdem Maddie sie aufgefangen hatte, merkte sie, dass ihre Freundin am ganzen Körper zitterte.
    “Süße, was ist los?”
    Tessa schüttelte den Kopf und sah sich verwirrt um. “Ich … ich muss schlafgewandelt sein”, stammelte sie atemlos. Ihre Hände, mit denen sie Maddie am Arm packte, waren eiskalt. “Das habe ich früher, als ich eine kleine
niña
war und Mama und Dad sich getrennt haben, öfter getan.”
    “Hast du irgendetwas geträumt?” Maddie führte sie zurück zur Couch und knipste die kleine Leselampe an. Gestern Nacht – oder vielleicht vorgestern? – war Maddie aufgewacht, weil Tessa im Schlaf aufgeschrien und auf Spanisch: “
No! No me toque!”,
gerufen hatte.
    Tessa schüttelte zögernd den Kopf, als habe sie ein vages Bild vor Augen. Dann zog sie die Augenbrauen zusammen, als würde sie vor der Erinnerung zurückschrecken.
    “Was hast du geträumt?”, fragte Maddie liebevoll.
    “Ich kann mich nicht erinnern.”
    Nicht an den Vater, der sie nach der Schule abgeholt und dann bis ein Uhr nachts allein in seinem Truck vor den diversen Bars in El Paso hatte sitzen lassen? Nicht an die Mutter, die mitten in der Nacht betrunken in ihr Zimmer gestürmt war, Schubladen aufgerissen und deren Inhalt auf den Boden geworfen hatte?
    Maddie kannte die beiden bereits aus Erzählungen. Tessa hatte allzu rasch geantwortet, doch Maddie wollte sie nicht durch nochmaliges Fragen unter Druck setzen. Vielleicht erinnerte sie sich wirklich nicht.
    Viermal in der Woche trat Maddie – manchmal gemeinsam mit der unvergleichlichen Josi, manchmal mit Zafira Mafous, einem wunderschönen libanesischen Mädchen, das unter dem Bühnennamen Lucy auftrat – abends im Al-Medina auf. Meistens war sie um 23 Uhr fertig. Hin und wieder wurde sie für einen privaten Auftritt engagiert – etwa für Geburtstage oder eine Bar-Mizwa-Feier –, und dann stand oft in den Sternen, wann sie wieder zu Hause sein würde. So war es auch am nächsten Samstagabend.
    Nachts um eins schloss sie müde, dank eines beschwipsten Rabbis ein bisschen nach Champagner riechend und um 300 Dollar reicher, die Tür zu ihrer Wohnung auf und sah im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung Tessas Bettzeug zusammengeknüllt auf der Couch liegen. Die Tür zum Badezimmer war offen, doch im Bad brannte kein Licht.
    Tessa war nicht da.
    Maddie schob rasch den Vorhang aus Laken zur Seite und sah in ihrem eigenen Bett nach. Doch da war nur Baby, die zusammengerollt auf dem Kopfkissen lag und sie mit ihren grünen Augen vorwurfsvoll ansah:
Und wo warst du die ganze Nacht, junge Dame?
    In einem kleinen New Yorker Apartment gab es nur sehr, sehr wenige Plätzchen, wo sich jemand verstecken konnte – selbst wenn es sich dabei um eine spindeldürre Ballerina handelte.
    Sofort hatte Maddie wieder Tessa vor Augen, wie sie sich im Nachthemd an der Tür zu schaffen gemacht hatte. An einer Tür, in deren Schloss innen immer ein Schlüssel steckte, wenn eine von ihnen beiden zu Hause war. Der einzige Grund, warum Tessa sie nicht hatte öffnen können, war der Sperrbügel gewesen.
    “Verdammt”, flüsterte Maddie. Die Januarnacht war bitterkalt, und vom Hafen her wehte ein eisiger Wind. Sie sah sich in der Wohnung um und stellte fest, dass Tessas Schuhe und ihr Mantel noch da

Weitere Kostenlose Bücher