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In deinen Armen

In deinen Armen

Titel: In deinen Armen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Dodd
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denke, sie hatte eine gewisse Reputation.«
    »Das erklärt eine Menge, was dich betrifft.« Er sah sie an, als könne er den Gleichmut in Schichten von ihr abziehen und das zitternde Kind sehen, das sich darunter verbarg. »Du sprichst mit britischem Oberklasse-Akzent. Du kennst die Klassiker, du stickst, und ich habe dich mit Miss Celeste französisch sprechen hören. Sehr beeindruckend.«
    Sie schätzte es nicht, dass ein ungehobelter Schurke, dessen einziges wirkliches Talent im Würfeln lag, und zwar am liebsten auf irgendeinem Stallboden, den Katalog ihrer Vorzüge herunterbetete. Hochnäsig – und die Hochnäsigkeit hatte sie sich von den Allerbesten abgeschaut – sagte sie: »Und vergiss bitte nicht meinen feinen Anschlag am Pianoforte und meine Begabung zum Walzertanzen.«
    Er schoss einen scharfen Blick auf sie ab. »Zudem besitzt du einen scharfen Verstand – ich nehme an, du hast ihn geschult, indem du dich gegen die anderen Mädchen und ihre Boshaftigkeiten verteidigt hast. Der Earl of Binghamton hat dir ermöglicht, dich in den höheren Kreisen zu bewegen. Du bist ihm sicher sehr dankbar.«
    »Dankbar.« Das Wort triefte vor Sarkasmus. Man hatte Enid früher oft gesagt, wie dankbar sie sein müsse, dass ihr Vater sie unterstützte. Aber Dankbarkeit war nicht gerade das, was sie empfand. Es erfüllte sie vielmehr mit grenzenlosem Unmut, dass ein Mann, der seine Hosen nicht zugeknöpft lassen konnte, als generös, ja sogar ehrenwert galt. Er hatte jedenfalls keine Vorkehrungen getroffen, sie im Fall seines Todes weiterhin zu unterstützen, und hatte immer dafür gesorgt, dass sie ihn nicht zu Gesicht bekam.
    »Eher weniger dankbar, he? Du bist schließlich kein Dummerchen, Enid.«
    »Oh, bitte, Stephen! So viel Schmeichelei verdreht einem armen Mädchen den Kopf.«
    Er grinste sie an, ein plötzlicher Ausbruch ungezügelter Freude.
    Enid hielt den Atem an. Er hatte sie drei Wochen lang nicht angelacht, und es machte ihr beinahe Angst, zu sehen, wie brütende Missgunst sich in strahlenden Charme verwandelte. Wenn das so weiterging, würde sie noch allen Groll vergessen und sich kopflos wie ein unbedarftes Mädchen in ihn verlieben, wie sie sich noch nie zuvor in ihn verliebt hatte.
    Zu ihrem Glück konnte er nicht permanent so charmant sein.
    »Du hast gesagt, du seiest auf der Mrs. Palmer’s School geblieben, bis du vierzehn warst«, sagte er. »Was ist dann passiert?«
    »Binghamton ist gestorben. Ich wurde aus der Schule geworfen und in einem Heim für mittellose Waisenkinder untergebracht.« Ein Ort, gegen den die von Snobs bevölkerten Flure der Mrs. Palmer's School ihr wie die Korridore des Himmelreichs erschienen waren. »Die Gattin Seiner Lordschaft und deren legitime Kinder waren nicht interessiert, Seiner Lordschaft Wohltätigkeit fortzuführen.«
    MacLean legte die Gewichte auf den Tisch neben dem Bett und lächelte milde. »Das muss ein ziemlicher Schock gewesen sein.«
    »Von einer Schule, wo am Dienstag der Tanzlehrer erschien und der Tee jeden Tag um präzise drei Uhr serviert wurde, an einen Ort voller dreckiger Kinder mit den unterschiedlichsten Krankheiten, wo Stehlen der einzige Weg war, genug zu essen zu bekommen, und der Hauswart einen schlug, wenn man korrektes Englisch sprach?« Enid lächelte schmallippig. »Ja, das war ein Schock.«
    Zu Enids Erleichterung zeigte sich MacLean weder überrascht noch mitfühlend. »Wie hast du das überlebt?«
    »Die Frau des Hauswarts hat in mir eine Möglichkeit gesehen, zu Geld zu kommen. Als ich sechzehn war, hat sie mich als Gouvernante an einen Vikar verkauft. Die Frau des, Vikars hatte einen gewissen Standesdünkel. Sie wollte, dass ihre Kinder lernten, mit Oberkrusten-Akzent, wie sie das nannte, zu sprechen.« Enid lächelte mit aufrichtiger Freude. »Während meines Aufenthaltes dort habe ich herausgefunden, dass das Lehren nicht meine Berufung ist.«
    »Und dann hast du mich getroffen.«
    »Es wäre vermutlich das Beste, wir vergäßen
beide,
wie wir uns kennen gelernt haben.« Sie faltete die Zeitung zusammen und wollte aufstehen.
    Sie hatte ihre Geschichte noch nie jemandem erzählt, hatte sich selbst kaum gestattet, sich zu erinnern, nun waren die Worte förmlich aus ihr herausgeplatzt. Aber Stolz und Zurückhaltung hinderten sie daran weiterzuerzählen. Sie hatte also MacLean getroffen. Und kein Mädchen vor oder nach ihr war je so dumm gewesen. So leichtgläubig. Sie hätte am liebsten um das Mädchen, das sie einst gewesen war,

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