In deinen Armen
all den Problemen, die wir schon damit hatten, ihn so weit zu bringen.« Mrs. Brown fädelte einen weißen Seidenfaden ein und machte sich, daran, ein zartes Stückchen Spitzenverzierung an einen Kinderunterrock zu nähen. »Wenn er hätte sterben Sollen, hätte er es längst getan, und wer diesen Mann und seine Entschlossenheit kennt, der weiß auch, dass wir nichts dagegen hätten tun können.«
»Sie haben Recht. Da muss ich Ihnen zustimmen.« Aber das machte es ihr auch nicht leichter. Nachts, wenn sie wach lag, ertappte sie sich dabei, wie sie sich das Schlimmste ausmalte: MacLean, der vor Schmerzen zusammenbrach; MacLeans Bein, das wegen eines Blutgerinnsels anschwoll; MacLean, der erneut jede Erinnerung verlor. Lauter absurde Ideen, das wusste sie, doch sie versuchte vergebens, die Schreckensvisionen des Unglücks aus ihren Träumen zu vertreiben.
Ohne den Frauen Beachtung zu schenken, stemmte MacLean die eisernen Gewichte, die Throckmorton ihm besorgt hatte. Als Nächstes waren die Beine dran: anheben, dehnen und dabei den Bruch ignorieren, als hätte es ihn nie gegeben. Unnachgiebig baute er seinen Körper wieder auf, als habe er ein Rendezvous mit dem Schicksal – was durchaus möglich war.
»Er sieht schon viel besser aus«, sagte Mrs. Brown. »Hat ganz nett zugelegt.«
Eine Untertreibung. Während die eisernen Gewichte sich immer wieder hoben und senkten, pumpte seine Arm- und Schultermuskulatur sich auf.
»Sicher, so viel, wie er isst, muss er auch zulegen«, setzte Mrs. Brown hinzu.
Lange, glatte, straffe Muskeln hatten sich entlang der kräftigen Knochen entwickelt und ihn von einem Skelett in einen lebenden, atmenden griechischen Gott verwandelt. Aber Enid war lange genug allein gewesen, als dass sie Stephen MacLean aus einem anderen Grund als dessen Ausschweifungen mit Apollo verglichen hätte.
»Er sollte ein Hemd anziehen«, schnappte sie.
Mrs. Brown musterte ihn von oben bis unten. »Warum? Kommt nicht oft vor, dass eine Frau in meinem Alter noch ihre Augen an einem solchen Anblick erfreuen darf.«
Schockiert über die freimütige Beifallsbekundung der Älteren – von Frauen ihres Alters durfte man erwarten, dass sie den Männern nicht mehr hinterhersahen –, rief Enid: »Mrs. Brown!«
»Eine Frau müsste schon blind oder tot sein, um ihn nicht schön zu finden.« Mrs. Brown gluckste. »Ich nehme an, deshalb wollen Sie auch, dass er sich etwas anzieht. Er spricht kaum mit Ihnen, ich nehme also an, dass Sie beide nicht das Bett teilen.«
»Das dürfte Sie wohl kaum etwas angehen«, sagte Enid.
»Nein … allerdings wäre mit Ihnen beiden vielleicht leichter auszukommen, wenn Sie zur Schlafenszeit Ihr Menuett tanzten.«
Enid brauchte weder eine Vertraute noch eine Ratgeberin. Sie war vollends fähig, ihr Leben ohne fremder Leute Hilfe zu bewältigen.
Natürlich hätte sie gerne mit jemandem über MacLeans wirkliche Probleme gesprochen, um herauszufinden, ob er ihr wohl jemals vergeben würde. Schließlich lag es an ihr, dass er diesem Muskelaufbau-Wahn erlegen war. Sie hatte ihm erzählt, wer er gewesen war, und er hatte nicht gern gehört, dass er gespielt und betrogen hatte. Die Auflistung seiner Vergehen hatte ihn erbost. Und als sie ihm gesagt hatte, dass er sie verlassen hatte, hatte er sie eine Lügnerin geheißen. Eine Hochstaplerin. Eine Heuchlerin.
Der Mann hatte ihr leid getan. Die Mitteilung hatte ihn völlig aus der Fassung gebracht. Also hatte sie sich seine Vorhaltungen angehört und kein einziges Wort mehr dazu gesagt – und was war der Dank dafür? Er konnte sie kaum noch ansehen, und sie hatten seitdem kein einziges richtiges Gespräch mehr geführt.
Fraglich, ob sie einen weiteren Wutanfall seinerseits hinnehmen konnte.
Jetzt brachte er sich auf den Gipfel körperlicher Fitness, damit er hier fortkam, um die Wahrheit herauszufinden und ihr Vorhaltungen zu machen. Sie wusste, bald würde er verlangen, auf eigenen Füßen stehen zu dürfen, und trotz ihrer Angst, sein Bein könne unter ihm nachgeben, würde sie es gestatten. Sie war überrascht, dass er nicht längst schon versucht hatte aufzustehen.
Aber das konnte sie Mrs. Brown nicht anvertrauen. Nicht, dass Mrs. Brown erst auf eine Einladung gewartet hätte, um die angespannte Stimmung im Krankenzimmer zu kommentieren. Offenkundig empfand Mrs. Brown Enid als eine Art Tochter, denn sie überhäufte sie, ob sie nun wollte oder nicht, mit Ratschlägen.
»Sie wissen nicht, wie man mit einem Ehemann umgeht«,
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