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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Flaschen in der Tür gegeneinanderklirrten. Kalte Luft drang heraus und strich mir um die Knöchel. »Dann müssen wir jetzt wohl ran. Kommt dein Freund Koenig?«
    Das wäre schön gewesen: Jemanden so Praktisches dabeizuhaben, der auch noch auf der richtigen Seite des Gesetzes stand und wesentlich weniger emotional in die Sache verwickelt war als ich, war eine wunderbare Vorstellung. »Er hat es überhaupt nur rausgefunden, weil er arbeiten muss. Seine Schicht geht bis sechs.«
    »Perfektes Timing.« Cole schnappte sich eine Handvoll Ampullen und Spritzen und warf sie vor mir auf die Kücheninsel. Sie hüpften und rollten in unförmigen Kreisen über die Arbeitsfläche. »Das sind unsere Optionen.«
    In meinen Ohren erhob sich ein Klingeln. »Wir haben mehr als eine?«
    »Drei, um genau zu sein«, antwortete Cole. Er deutete nacheinander auf die Ampullen. »Das hier macht dich zum Wolf. Das hier macht mich zum Wolf. Und von dem hier kriegen wir beide einen prima Krampfanfall.«
    Aber es gab keine drei Optionen. Es gab nur eine. Es hatte immer nur diese eine gegeben. Ich sagte: »Ich muss da raus und sie holen.«
    »Und was ist mit dem Rest?«
    »Sie zuerst.« Es war das Schrecklichste, was ich je hatte sagen müssen. Doch alles andere wäre eine Lüge gewesen. Sie war alles, woran ich mich als Wolf erinnerte, wenn es nichts anderes mehr gab. Sie war alles, woran ich mich festhalten konnte. Mich festhalten musste. Ich würde die anderen retten, wenn ich konnte, aber Grace musste die Erste sein.
    Ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, besonders überzeugend geklungen zu haben, aber Cole nickte. Sein Nicken machte es offiziell. Plötzlich hatten wir einen Plan und mir wurde übel. Nicht nur unterschwellig, sondern auf die Art und Weise, bei der einem die Ohren dröhnten und grelle Flecken am Rand des Sichtfelds tanzten. Ich musste mich in einen Wolf verwandeln. Nicht irgendwann in ferner Zukunft. Sondern jetzt sofort.
    »Okay, hier also noch mal der Plan. Ich laufe runter zum See«, sagte Cole. Jetzt war er der General, er ließ die Spritze, die einen Wolf aus ihm machen würde, in die Tasche seiner Cargohose fallen und deutete auf eine imaginäre Landkarte in der Luft, um zu veranschaulichen, wie wir vorgehen würden. »Das hier ist der Parkplatz am Two Island Lake. Da warte ich auf dich. Und Grace. Wen auch immer du mitbringen kannst. Und dann müssen wir so schnell, wie es geht, diese brachliegende Fläche auf dieser Seite des Waldes überqueren, damit wir sie möglichst lange vor Sonnenaufgang hinter uns haben. Ansonsten haben die so leichtes Spiel mit uns, als würden sie Fische aus ’nem Fass angeln. Keine Möglichkeit, uns zu verstecken. Bereit?«
    Er musste alles noch mal wiederholen. Ich dachte daran, wie ich mit der Gitarre in der Badewanne gesessen und Still Waking Up gesungen hatte. Ich dachte daran, wie ich Grace das Kleid über den Kopf gezogen hatte. Ich dachte daran, wie Cole mir gesagt hatte, dass alle auf mich hörten, aber ich nicht immer mit ihnen redete. Ich dachte an alles, was mich ausmachte, und daran, wie viel Angst ich davor hatte, es zu verlieren.
    Ich würde es nicht verlieren.
    »Ich bin bereit.«
    Uns blieb keine Zeit mehr.
    Draußen zog ich langsam meine Kleider aus und stand dann einfach da, während Cole gegen die Spritze tippte, damit die Luftbläschen darin nach oben stiegen. Es war erstaunlich hell hier draußen, obwohl es bis zum nächsten Vollmond noch fast eine Woche dauern würde, aber die niedrigen Wolken und der Nebel reflektierten alles Licht, das da war, und warfen es in jeden Winkel. Es ließ den Wald hinter dem Haus gespenstisch und unendlich groß wirken.
    »Sag mir, was du denkst.« Cole nahm meinen Arm und drehte meine Handfläche zum Himmel. Im Mondschein hoben sich meine Narben wulstig und hässlich von der Haut ab.
    Ich dachte an: Grace’ Hand in meiner, Beck, der zitternd im Keller lag, Victors Begräbnis, daran, wie ich ein Mensch geworden war. Daran, dass irgendwo vielleicht auch Grace nach mir suchte. Ich konzentrierte mich auf die Gedanken, die ich mitnehmen wollte. »Ich bin Sam Roth. Ich finde Grace. Ich finde die Wölfe. Ich bringe sie zum See.«
    Cole nickte. »Und ob du das tust, verdammt. Okay, das muss ich dir jetzt in irgendeine Ader spritzen. Halt still. Wiederhol es noch mal. Oder warte, sag mir erst, wo deine Schlüssel sind, bevor es losgeht.«
    Mein Herz hämmerte vor Nervosität und vor Angst und vor Hoffnung. »In meiner Hosentasche.«
    Cole sah

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