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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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haltlos.
    Ich dachte an Grace im Wald, an uns beide als Wölfe. Das Gefühl, neben ihr zu laufen, endlich zu haben, wovon ich all diese Jahre geträumt hatte, bevor ich sie als Mensch kennengelernt hatte. Diese gemeinsamen Stunden als Wölfe waren genau so gewesen, wie ich sie mir vorgestellt hatte – keine Worte, die uns im Weg standen. Ich hatte mir ganze Winter dieser Art gewünscht, doch ich wusste, dass es uns bestimmt war, wieder einmal die kalten Monate getrennt zu verbringen. Das Glück war eine Scherbe, die zwischen meinen Rippen steckte.
    Und Cole.
    Er allein hatte das Unmögliche möglich gemacht. Ich schloss die Augen.
    Koenig fand mich neben der Pumpe. »Alles in Ordnung?«
    Langsam öffnete ich die Augen wieder. »Wo sind die anderen?«
    »Im Wald.«
    Ich nickte. Wahrscheinlich suchten sie nach einem Fleckchen, an dem sie sich sicher genug fühlten, um sich auszuruhen.
    Koenig verschränkte die Arme. »Gute Arbeit.«
    Ich blickte hinaus in den Wald. »Danke.«
    »Sam, ich weiß, du willst jetzt nicht darüber nachdenken, aber sie werden zurückkommen, wegen der Leichen«, sagte er. »Wenn du sie ho–«
    »Grace wird sich bald verwandeln«, unterbrach ich ihn. »Ich will auf sie warten.«
    In Wahrheit war es so: Ich brauchte Grace. Ohne sie konnte ich nicht dorthin zurück. Und, mehr noch als das, ich musste sie sehen. Ich konnte meiner Wolfserinnerung, dass es ihr gut ging, nicht trauen, solange ich sie nicht gesehen hatte.
    Koenig bedrängte mich nicht. Wir gingen in die Hütte und dann holte er noch ein paar Kleidungsstücke aus seinem Wagen, die er vor die Tür legte wie eine Opfergabe. Als er zurückkam, reichte er mir einen Styroporbecher mit Automatenkaffee. Er selbst nippte auch an einem. Das Gebräu schmeckte furchtbar, aber ich trank es, zu dankbar für die freundliche Geste, um es zu verschmähen.
    Ich setzte mich in einen der staubigen Sessel in unserem neuen Zuhause. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte ich auf den Boden und durchforstete mein Gedächtnis. Mir fiel das Letzte ein, was Cole zu mir gesagt hatte. Wir sehen uns später.
    Dann klopfte es leise an die Tür und Grace kam herein, in Jogginghose und einem etwas zu großen T-Shirt. Alles, was ich zu ihr hatte sagen wollen – Wir haben Cole verloren. Beck ist tot. Du lebst-, löste sich auf meiner Zunge auf.
    »Danke«, sagte Grace zu Koenig.
    »Leben zu retten«, erwiderte Koenig, »ist mein Job.«
    Dann erst kam sie auf mich zu und umarmte mich, fest, und ich vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter. Schließlich löste sie sich von mir und seufzte. »Los, gehen wir sie holen.«

KAPITEL 75
SAM
    Verglichen mit unserer Reise von heute Morgen kam es mir überhaupt nicht weit vor, bis wir das Gelände erreichten, wo der Helikopter uns aufgespürt hatte.
    Und da lag Beck, sein Körper eine Ruine. Um ihn herum alle möglichen inneren Organe, bei denen ich nie darüber nachgedacht hatte, dass er so etwas besaß.
    »Sam«, sagte Grace.
    Becks Körper wirkte so flach und dünn, als wäre er nur noch eine leere Hülle. Und vielleicht war er das ja auch. Vielleicht hatte die Wucht der Schüsse alles zermalmt. Aber diese Eingeweide. Die er mitgeschleift hatte, bevor er starb. Ich musste an den Vogel denken, den Shelby in unserer Einfahrt getötet hatte.
    Sam.
    Sein Mund stand offen, die Zunge hing über den Zähnen. Nicht als würde er hecheln, sondern auf eine seltsame, unnatürliche Weise. Allein der Winkel der Zunge sagte mir, dass sein Körper steif sein musste. Wie ein überfahrener Hund, nicht mehr, bloß ein totes Tier.
    sam
    sag
    aber seine Augen
    was
    es waren immer noch seine Augen
    sam
    und ich wollte ihm noch so viel sagen
    du machst mir Angst
    Alles in Ordnung. Mit mir war alles in Ordnung. Es war, als hätte ich von vornherein gewusst, dass er sterben würde. Dass er tot sein würde. Dass wir seinen Körper so auffinden würden, zerschmettert und zerstört, dass er mich verlassen und wir nie die Chance haben würden zu reparieren, was zwischen uns kaputt war. Ich würde nicht weinen, denn so war es einfach. Er würde fort sein, aber das war er auch vorher schon gewesen, es würde nicht anders sein, jetzt, da er absolut und für immer fort war, ohne die Hoffnung, dass Frühling und Wärme ihn mir zurückbrachten.
    Ich würde nichts fühlen, weil es nichts zu fühlen gab. Es war, als hätte ich diesen Moment schon tausend Mal erlebt, so oft, dass mir keine Energie, keine Gefühle mehr blieben, die ich hierauf verwenden konnte.

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