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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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unsere Augen.
    Doch wir fanden nichts. Am Ende hatte Cole St. Clair getan, was er am besten konnte.
    Er war verschwunden.

KAPITEL 77
ISABEL
    Als wir in dieses Haus gezogen waren, war das Klavierzimmer der einzige Raum gewesen, in den ich mich sofort verliebt hatte. Ich hasste die Tatsache, dass wir aus Kalifornien weggezogen waren, in einen Staat, der von beiden Meeren, die unser Land zu bieten hatte, gleich weit entfernt war. Ich hasste den muffigen, alten Geruch des Hauses, den verwilderten Garten und den gruseligen Wald drumherum. Ich hasste es, dass der Umzug meinen jähzornigen Bruder noch jähzorniger machte. Ich hasste die Wandschrägen in meinem Zimmer und die knarzenden Treppenstufen und die Ameisen, die durch die Küche marschierten, egal, wie teuer die Einrichtung war.
    Aber das Klavierzimmer liebte ich. Es war ein runder Raum, halb von weinrot gestrichenen Wänden, halb von Fenstern eingerahmt. Drinnen gab es nichts außer dem Flügel, drei Stühlen und einem, verglichen mit den restlichen Lichtinstallationen des Hauses, erstaunlich unkitschigen Kronleuchter.
    Ich spielte kein Klavier, aber ich saß trotzdem gern auf der Bank, mit dem Rücken zum Flügel, und starrte aus den Fenstern in den Wald hinaus. Von hier drinnen, aus sicherer Entfernung, wirkte er gar nicht so gruselig. Vielleicht lebten dort Ungeheuer, aber bestimmt nichts, was gegen zwanzig Meter Garten, zweieinhalb Zentimeter Glas und einen Steinway ankam. Die beste Art, Natur zu erleben, hatte ich gedacht.
    Und es gab immer noch Tage, an denen ich das so empfand.
    Heute Nacht hatte ich mich aus meinem Zimmer gewagt, war an meinen Eltern vorbeigehuscht, die sich flüsternd in der Bibliothek unterhielten, und hatte mich ins Klavierzimmer geschlichen. Vorsichtig und geräuschlos hatte ich die Tür zugedrückt und mich dann im Schneidersitz auf die Bank gesetzt. Es war dunkel, also gab es vor den Fenstern nichts zu sehen außer dem kreisförmigen Stück Rasen, das vom Licht an der Hintertür erhellt wurde. Doch es spielte keine Rolle, dass ich die Bäume nicht sehen konnte. Dort lebten keine Ungeheuer mehr.
    Ich drehte mich zur Seite, wickelte mich in meine flauschigste Kapuzenjacke und zog die Knie an die Brust. Es kam mir vor, als hätte ich in Minnesota ununterbrochen gefroren. Die ganze Zeit wartete ich, dass es Sommer wurde, aber irgendwie schien es nie so weit zu sein.
    So schrecklich kam mir der Gedanke an Kalifornien im Moment gar nicht vor. Am liebsten hätte ich mich dort in den Sand eingegraben und Winterschlaf gehalten, bis ich mich nicht mehr so leer fühlte.
    Als mein Handy klingelte, zuckte ich zusammen und mein Ellbogen donnerte auf die Tastatur des Klaviers, das einen tiefen, gequälten Seufzer ausstieß. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich das Handy noch in der Tasche hatte.
    Ich zog es hervor und warf einen Blick aufs Display – Becks Haus. Ich schaffte es jetzt einfach nicht, wie die Isabel zu klingen, die sie kannten. Warum konnten sie mir nicht wenigstens eine Nacht geben?
    Ich hielt mir das Handy ans Ohr. »Was?«
    Am anderen Ende war nichts. Ich vergewisserte mich, ob ich überhaupt Empfang hatte. »Was ist? Hallo? Ist da jemand?«
    »Ja.«
    Ich hatte keinen Knochen mehr im Körper. Ich rutschte von der Bank und es kostete mich alle Mühe, das Handy am Ohr und meinen Kopf aufrecht zu halten, denn meine Muskeln schienen dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen zu sein. Mein Herz hämmerte so schmerzhaft in meinen Ohren, dass ich ihn, falls er noch etwas gesagt hatte, so oder so nicht gehört hätte.
    »Du« , fauchte ich, weil mir nichts anderes einfiel. Bestimmt würde sich der Rest des Satzes von selbst ergeben. »Du hast mir einen Scheißschrecken eingejagt!«
    Er lachte, das Lachen, das ich in der Klinik gehört hatte, und ich fing an zu weinen.
    »Jetzt haben Ringo und ich noch eine Sache mehr gemeinsam«, sagte Cole. »Wir wurden beide von deinem Vater angeschossen. Wie viele Leute können das schon von sich behaupten? Hey, erstickst du da gerade, oder was?«
    Ich wäre gern irgendwie vom Boden hochgekommen, aber meine Beine waren immer noch zu wackelig. »Ja, genau, das mache ich gerade. Was denkst du denn, Cole?«
    »Ah, du hast mich also erkannt. Hab ganz vergessen zu sagen, dass ich es bin.«
    »Wo warst du?«
    Er schnaubte abfällig. »Im Wald. Hab mir meine Milz oder was auch immer nachwachsen lassen. Und meine Oberschenkel, teilweise. Ich bin mir nicht sicher, ob mein bestes Stück noch funktionsfähig ist. Du

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