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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Ich testete die Vorstellung in meinem Kopf, Beck ist tot, Beck ist tot, Beck ist tot, und wartete auf die Tränen, auf eine Regung, auf irgendetwas.
    Die Luft um uns roch nach Frühling, doch in mir war Winter.
GRACE
    Sam stand einfach da. Zitternd, die Hände reglos an seinen Seiten, starrte er schweigend auf die Leiche zu unseren Füßen. Etwas in seinem Gesichtsausdruck war so furchtbar, dass mir Träne um Träne über die Wangen rollte.
    »Sam«, flehte ich. »Bitte.«
    Sam sagte: »Alles in Ordnung.«
    Und dann brach er einfach zusammen. Er krümmte sich zu einer Kugel, die Hände hinter dem Kopf, das Gesicht auf den Knien, so weit jenseits aller Tränen, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte.
    Ich hockte mich neben ihn und schlang die Arme um ihn. Er zitterte und zitterte, aber er weinte nicht.
    »Grace«, flüsterte er und in diesem einen Wort hörte ich unendliche Qualen. Immer wieder fuhr er sich mit der Hand durchs Haar, krallte unablässig die Finger hinein und ließ wieder los. »Grace, hilf mir. Hilf mir.«
    Aber ich wusste nicht, was ich tun sollte.

KAPITEL 76
GRACE
    Ich benutzte Koenigs Handy, um Isabel anzurufen. Sam, Koenig und ich hatten uns eine Stunde lang durchs Gebüsch geschlagen und die morbide Aufgabe erledigt, die Leichen zu zählen und zu prüfen, ob Sam sie erkannte. Sieben tote Wölfe, Beck eingeschlossen. Bis zu Shelbys und Coles Leiche waren wir noch nicht gekommen.
    Sam stand ein paar Schritte weiter und blickte in den Wald hinaus, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Wie immer war diese Geste zu einhundert Prozent Sam und gleichzeitig Beck. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich Sam das je erzählt hatte. Ich wusste auch nicht, ob es eher wehtun oder trösten würde, wenn ich es jetzt tat.
    »Isabel«, sagte ich.
    Isabel seufzte nur.
    »Ich weiß. Wie geht’s dir da drüben?«
    Isabels Stimme klang fremd. Ich hatte den Verdacht, dass sie geweint hatte. »Ach, wie immer. Ich hab für den Rest meines Lebens Hausarrest, also ungefähr bis nächste Woche, weil sie mir danach wohl sowieso den Kopf abreißen. Gerade bin ich in meinem Zimmer, weil ich einfach nicht mehr schreien kann.«
    Das erklärte ihre Stimme.
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Muss es nicht. Ich bin ja wohl diejenige, die ein bisschen spät dran war, oder?«
    »Mach dich deswegen nicht fertig, Isabel. Ich weiß, das machst du gern, aber du warst den Wölfen nicht das Geringste schuldig und du bist trotzdem gekommen.«
    Lange Zeit sagte sie nichts und ich fragte mich, ob sie mir wohl glaubte. Schließlich fuhr sie fort. »Und sie schicken mich nach Kalifornien zu meiner Grandma, bis sie das Haus verkauft haben.«
    »Was?«
    Mein Ausruf klang so scharf, dass Sam stirnrunzelnd zu mir rübersah.
    Isabels Stimme war völlig ausdruckslos. »Ja. Direkt nach der letzten Prüfung verfrachten sie mich und meinen ganzen Kram in ein Flugzeug. Und so endet dann die Geschichte der fabelhaften Isabel Culpeper. Mit eingeklemmtem Schwanz zurück nach Kalifornien. Findest du, ich bin ein Schwächling, weil ich nicht einfach abhaue?«
    Jetzt war ich mit Seufzen an der Reihe. »Ach, weißt du, wenn man seine Eltern irgendwie behalten kann, sollte man das auch tun, denke ich. Deine Eltern lieben dich, auch wenn dein Dad ein Idiot ist. Das heißt aber natürlich nicht, dass ich damit glücklich bin, wenn du gehst.« Isabel in Kalifornien? »Ich glaub es einfach nicht. Bist du sicher, dass sie es sich nicht noch mal anders überlegen?«
    Sie schnaubte. Es war ein roher Laut, wie eine frische Wunde.
    »Sag ihr Danke«, rief Sam.
    »Ich soll dir von Sam Danke sagen.«
    Isabel lachte. Ha. Ha. Ha. »Dafür, dass ich den Staat verlasse?«
    »Dafür, dass du uns das Leben gerettet hast.«
    Einen Moment lang sagten wir gar nichts. Unten am See schrie ein Eistaucher. Wenn ich nicht ganz genau gewusst hätte, dass ich erst an diesem Morgen hier gewesen war, hätte ich mich nicht daran erinnert. Wenn man ein Wolf war, sah dieser Ort vollkommen anders aus.
    Isabel sagte: »Nicht euch allen.«
    Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte, weil es die Wahrheit war. Es war nicht ihre Schuld, aber ich konnte es auch nicht abstreiten. Stattdessen sagte ich: »Wir sind gerade auf dem Gelände. Wo liegt Coles – äh – wo ist er ge–«
    »Da war so eine etwas steilere Böschung am Straßenrand«, unterbrach sie mich. »Irgendwo da müssten auch Reifenspuren von mir sein. Er war ein paar Meter weiter. Ich muss auflegen. Ich muss –«
    Die

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