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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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kannst gern rüberkommen und mal einen Blick unter die Motorhaube werfen.«
    »Cole. Ich muss dir was sagen.«
    »Ich hab’s gesehen«, entgegnete er. »Ich hab gesehen, was du gemacht hast.«
    »Es tut mir leid.«
    Er schwieg einen Moment. »Ich weiß.«
    »Wissen Sam und Grace schon, dass du noch lebst?«
    »Mit denen feiere ich später freudiges Wiedersehen. Zuerst musste ich dich anrufen.«
    Einen Moment lang gestattete ich mir, mich einfach nur an diesem letzten Satz zu wärmen. Prägte ihn mir ein, um ihn später wieder und wieder in meinem Kopf abspielen zu können.
    »Meine Eltern schicken mich zurück nach Kalifornien. Wegen dem, was ich getan habe.« Ich wusste nicht, wie ich es anders sagen sollte, also schleuderte ich es einfach heraus.
    Cole antwortete nicht.
    Nach einer Weile sagte er: »Ich war auch schon mal in Kalifornien. Ziemlich magischer Ort irgendwie. Diese trockene Hitze und die Feuerameisen und die grauen, importierten Autos mit den riesigen Motoren. Ich stelle mir dich gerade neben einem dekorativen Kaktus vor. Du siehst extrem lecker aus.«
    »Ich hab Grace gesagt, ich will da nicht hin.«
    »Lügnerin. Du bist das absolute California Girl«, erwiderte er. »Hier bist du eher so was wie ein Astronaut.«
    Ich überraschte mich selbst, indem ich lachte.
    »Warum lachst du?«
    »Weil du mich gerade mal, sagen wir, vierzehn Sekunden lang kennst, von denen wir sieben knutschend verbracht haben, und du trotzdem mehr über mich weißt als alle meine Freunde hier in diesem dämlichen Kaff«, antwortete ich.
    Cole dachte darüber nach. »Tja, ich verfüge über eine großartige Menschenkenntnis.«
    Allein bei dem Gedanken daran, wie er drüben in Becks Haus saß, lebendig, wollte ich lächeln und dann noch mehr lächeln und schließlich anfangen zu lachen und nie wieder aufhören. Meine Eltern konnten meinetwegen für den Rest meines Lebens wütend auf mich sein.
    »Cole«, sagte ich. »Verlier diese Nummer nicht.«

KAPITEL 78
GRACE
    Ich erinnere mich, wie ich im Schnee lag, ein kleines, warmes Bündel, das langsam kälter wurde. Die Wölfe drängten sich um mich.
    »Bist du sicher, dass es hier war?«, fragte ich Sam. Es war Oktober und die kalte Nachtluft hatte das Grün aus den Blättern gesaugt und die Sträucher rot und braun gefärbt. Wir standen auf der kleinen Lichtung. Sie war so winzig, dass ich, wenn ich in der Mitte stand und die Arme ausstreckte, mit einer Hand eine Birke hätte berühren können und mit der anderen die Zweige einer Kiefer. Und genau das tat ich auch.
    Sams Stimme klang überzeugt. »Ja, hier ist es.«
    »Damals kam es mir größer vor.«
    Natürlich war ich zu der Zeit noch kleiner gewesen und es hatte geschneit – im Schnee wirkte alles viel weitläufiger. Die Wölfe hatten mich von der Reifenschaukel gerissen und hierher geschleift, mich zu Boden gedrückt und zu einer von ihnen gemacht. Ich war dem Tod so knapp entronnen.
    Langsam drehte ich mich um die eigene Achse, wartete auf das Wiedererkennen, einen Erinnerungsblitz, irgendetwas, was mir bewies, dass wir uns wirklich am richtigen Ort befanden. Aber der Wald um mich blieb ein ganz gewöhnlicher Wald und die Lichtung blieb eine ganz gewöhnliche Lichtung. Wenn ich allein hier herumgelaufen wäre, hätte ich sie wahrscheinlich mit ein, zwei Schritten überquert und noch nicht mal als Lichtung betrachtet.
    Sam scharrte mit den Füßen zwischen Laub und Farnen. »Deine Eltern denken jetzt also, du gehst … in die Schweiz?«
    »Nach Norwegen«, korrigierte ich. »Rachel geht wirklich dahin und ich komme angeblich mit.«
    »Meinst du, sie haben dir geglaubt?«
    »Es gibt keinen Grund, warum sie es nicht sollten. Rachel hat sich als erstaunlich gute Schwindlerin herausgestellt.«
    »Wie beunruhigend«, sagte Sam, der jedoch nicht im Geringsten beunruhigt klang.
    »Ja«, stimmte ich zu.
    Was ich nicht sagte, aber wir beide wussten, war, dass es eigentlich auch keine Rolle spielte, ob sie mir glaubten. Ich war inzwischen achtzehn und hatte im Sommer meinen Highschoolabschluss gemacht, wie ich es ihnen versprochen hatte, und sie hatten sich Sam gegenüber anständig verhalten und mich meine Tage und Abende mit ihm verbringen lassen, wie sie es versprochen hatten, und jetzt konnte ich ausziehen und aufs College gehen, ganz wie ich wollte. Meine Tasche war schon gepackt und lag im Kofferraum von Sams Auto, das bei meinen Eltern in der Auffahrt stand. Alles, was ich brauchte.
    Das einzige Problem war der Winter. Ich

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