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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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und Beulen wie bei der Pest. Und dann der Tod.
    Und ich hatte geglaubt, ich wäre geheilt. Aber wie es aussah, war das wohl nur eine Remission gewesen.
    Es war nicht nur Cole. Ich hatte Sam nicht von meinem Vater und Marshall erzählt. Ich versuchte, mir einzureden, dass mein Vater den Artenschutz der Wölfe niemals würde aufheben können. Auch nicht mithilfe eines Kongressabgeordneten. Die beiden waren vielleicht hohe Tiere in ihren jeweiligen Heimatstädten, aber das hieß noch lange nicht, dass sie auch hohe Tiere in Minnesota waren. Ich musste kein schlechtes Gewissen haben, dass ich Sam heute nicht gewarnt hatte.
    Ich war so tief in Gedanken, dass mir erst jetzt die blinkenden roten und blauen Lichter in meinem Rückspiegel auffielen. Eine Sirene heulte. Nicht richtig, nur ein kurzes Aufjaulen, das mir zeigen sollte, wer da hinter mir war.
    Plötzlich erschien mir ein Schreiduell mit einem Polizisten gar keine so gute Idee mehr.
    Ich fuhr rechts ran. Nahm meinen Führerschein aus der Handtasche. Die Papiere aus dem Handschuhfach. Ließ das Fenster herunterfahren.
    Als der Polizist an meine Tür trat, erkannte ich an seiner braunen Uniform und dem großen, ulkigen Hut, dass er zur Landes- und nicht zur Bezirkspolizei gehörte. Landes-Cops sprachen nie Verwarnungen aus.
    Ich war so was von geliefert.
    Er richtete seine Taschenlampe auf mich. Ich blinzelte und schaltete die Deckenbeleuchtung des Wagens ein, damit er aufhörte, mich zu blenden.
    »Guten Abend, Miss. Führerschein und Fahrzeugpapiere, bitte.« Er wirkte ein wenig angesäuert. »Haben Sie nicht gemerkt, dass ich hinter Ihnen war?«
    »Na ja, wie’s aussieht, schon«, erwiderte ich. Ich deutete auf den Automatikschalthebel und stellte ihn auf Parken.
    Der Polizist verzog das Gesicht zu dem humorlosen Lächeln, das mein Vater manchmal beim Telefonieren aufsetzte. Er nahm meinen Führerschein und die Papiere entgegen, ohne einen Blick darauf zu werfen. »Ich bin Ihnen anderthalb Meilen gefolgt, bevor Sie angehalten haben.«
    »Ich war abgelenkt«, sagte ich.
    »So können Sie aber nicht fahren«, rügte der Polizist. »Ich muss Ihnen leider einen Strafzettel dafür geben, dass Sie in einer Fünfzigerzone dreiundsiebzig gefahren sind, hören Sie? Ich bin gleich wieder da. Bitte das Fahrzeug nicht bewegen.«
    Er stapfte zurück zu seinem Wagen. Ich ließ das Fenster offen, auch wenn sich immer mehr Insekten gegen die Reflexion des Warnlichts in meinem Rückspiegel warfen. Ich sah die Reaktion meines Vaters lebhaft vor mir, ließ mich in meinen Sitz sinken und schloss die Augen. Hausarrest. Sie würden mir meine Kreditkarte wegnehmen. Telefonieren dürfte ich auch nicht mehr. Meine Eltern verfügten über unzählige Foltermethoden, die sie sich damals in Kalifornien ausgedacht hatten. Ich brauchte mir nicht mehr den Kopf darüber zu zerbrechen, ob ich noch mal zu Sam oder Cole fahren sollte, denn jetzt würde ich sowieso den Rest meines Abschlussjahrs eingesperrt zu Hause verbringen.
    »Miss?«
    Ich öffnete die Augen und setzte mich gerade hin. Der Polizist stand wieder an meinem Fenster, in der Hand meinen Führerschein und meine Fahrzeugpapiere und dazu einen kleinen Strafzettelblock.
    Seine Stimme klang jetzt anders als zuvor. »Ihr Führerschein ist auf Isabel R. Culpeper ausgestellt. Sind Sie möglicherweise mit Thomas Culpeper verwandt?«
    »Das ist mein Vater.«
    Der Polizist klopfte mit seinem Stift auf den Strafzettelblock.
    »Ah«, sagte er. Er gab mir Führerschein und Papiere zurück. »Das dachte ich mir. Sie sind zu schnell gefahren, Miss. Lassen Sie sich nicht noch einmal von mir dabei erwischen.«
    Ich starrte auf den Führerschein in meiner Hand, dann wieder raus zu ihm. »Was ist mit –?«
    Der Polizist tippte sich an die Hutkrempe. »Gute Fahrt noch, Miss Culpeper.«

KAPITEL 9
SAM
    Ich war ein General. Den größten Teil der Nacht saß ich wach und brütete über Karten und Strategien, um Cole zu konfrontieren. Becks Bürostuhl war meine Festung, in der ich mich hin und her drehte, Bruchstücke potenzieller Dialoge auf Becks alten Kalender kritzelte und als Orakel Solitär zurate zog. Wenn ich das nächste Spiel gewann, würde ich Cole die Regeln erklären, an die er sich würde halten müssen, wenn er in diesem Haus bleiben wollte. Wenn ich verlor, würde ich nichts sagen und abwarten, was passierte. Je weiter die Nacht voranschritt, desto kompliziertere Regeln stellte ich für mich auf: Wenn ich gewann, aber länger als zwei

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