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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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ziemlich langer Tag.«
    »Das kannst du laut sagen.« Ihre Füße knirschten auf Kies. »Geht’s ihm gut?«
    Ich ging mit dem Telefon den Flur hinunter. Einen Moment hielt ich inne, bis sich meine Augen an die Lichtkegel der Lampen gewöhnt hatten – ich war so erschöpft, dass jede Lichtquelle einen Ring oder einen geisterhaften Schweif hatte –, und wartete auf das beruhigende Heben und Senken von Coles Brust.
    »Ja«, flüsterte ich. »Er schläft.«
    »Das ist mehr, als er verdient hat«, erwiderte Isabel.
    Ich begriff, dass der Zeitpunkt gekommen war, an dem ich aufhören sollte, so zu tun, als kriegte ich nichts mit. Wahrscheinlich war der Zeitpunkt dafür sogar schon vor einer ganzen Weile gekommen. »Isabel«, fragte ich, während ich zurück in Becks Arbeitszimmer ging, »was ist da zwischen euch beiden los gewesen?«
    Isabel schwieg.
    »Für dich bin ich nicht verantwortlich.« Ich zögerte. »Aber für Cole schon.«
    »Oh, Sam, meinst du nicht, es ist ein bisschen spät, jetzt noch die Verantwortungskarte auszuspielen?«
    Ich glaube nicht, dass es so grausam klingen sollte, aber es versetzte mir einen Stich. Nur der Gedanke an das, was Grace mir über Isabel erzählt hatte – wie sie Grace über mein Verschwinden hinweggeholfen hatte, damals, als Grace dachte, ich wäre tot –, hielt mich davon ab aufzulegen. »Sag’s mir einfach. Läuft da was zwischen euch?«
    »Nein«, fauchte Isabel.
    Ich hörte die Wahrheit hinter diesem Wort und vielleicht war das auch ihre Absicht. Es war ein Nein, das besagte: Im Moment nicht. Ich dachte an ihr Gesicht, als sie die Spritze neben Cole entdeckt hatte, und fragte mich, wie groß die Lüge hinter diesem Nein wohl sein mochte. Ich sagte: »Er hat eine Menge zu verarbeiten. So ist er für niemanden gut, Isabel.«
    Sie antwortete nicht sofort. Ich presste die Fingerspitzen an meinen Kopf, spürte den Geist des Meningitis-Kopfschmerzes. Ein Blick auf den Computerbildschirm verriet mir, dass ich keine Wahl mehr hatte. Die Stoppuhr in der Ecke des Fensters zeigte an, dass ich sieben Minuten und einundzwanzig Sekunden gebraucht hatte, um zu begreifen, dass ich verloren hatte.
    »Das«, sagte Isabel, »warst du auch nicht.«

KAPITEL 10
COLE
    Damals, auf dem Planeten New York, war mein Vater George St. Clair, Doktor der Medizin, Doktor der Biologie, Mensa-Mitglied, ein großer Fan wissenschaftlicher Abläufe. Er war ein guter verrückter Wissenschaftler. Ihn interessierte die Frage nach dem Warum. Und die Frage nach dem Wie. Es interessierte ihn zwar kein bisschen, was seine Experimente mit dem Subjekt anstellten, dafür aber umso mehr, wie man an die Formel gelangte, mittels derer sie sich wiederholen ließen.
    Das Einzige, was mich interessierte, waren Ergebnisse.
    Und, vor allem anderen, dass ich nicht wie mein Vater wurde, in keinerlei Hinsicht. Tatsächlich basierten die meisten Entscheidungen meines Lebens auf der Philosophie des Nicht-wie-Dr.-George-St.-Clair-Seins.
    Darum war es echt hart, ihm in etwas zustimmen zu müssen, was ihm so wichtig war, selbst wenn er es nie erfahren würde. Doch als ich die Augen öffnete, mit dem Gefühl, als hätte jemand meine Eingeweide zu Brei geschlagen, tastete ich als Erstes nach dem Notizbuch auf dem Nachttisch neben mir. Ich war schon vor einer Weile aufgewacht, hatte mich lebendig auf dem Wohnzimmerboden wiedergefunden – was schon mal eine Überraschung war – und war in mein Zimmer gekrochen, um entweder zu schlafen oder endgültig das Zeitliche zu segnen. Jetzt fühlten sich meine Gliedmaßen an, als wären sie von einer Firma mit lausigen Qualitätskontrollen zusammengebaut worden. Nach einem Blinzeln in das graue Licht, das auf jede Tages- oder Nachtzeit hätte hindeuten können, schlug ich das Notizbuch auf, mit Fingern, die sich wie leblose Gegenstände anfühlten. Ich musste Seiten voll mit Becks Handschrift überblättern, bis ich schließlich bei meiner eigenen anlangte, dann schrieb ich das Datum auf und übernahm die Form der vorigen Einträge. Die Handschrift auf der gegenüberliegenden Seite wirkte ein bisschen solider als mein jetziges Gekrakel.
     
    EPINEPHRIN / PSEUDOEPHEDRIN, MISCHUNG NR. 4
    METHODE: INTRAVENÖSE INJEKTION
    RESULTAT: ERFOLGREICH
    (NEBENWIRKUNG: KRAMPFANFALL)
     
    Ich klappte das Buch zu und ließ es auf meiner Brust liegen. Die Champagnerkorken zur Feier meiner Entdeckung würde ich wohl erst knallen lassen, wenn ich es schaffte, wach zu bleiben. Wenn meine Fortschritte sich nicht mehr

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