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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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haben, sodass ich mir, wenn es wieder blitzte, einprägen konnte, wohin ich laufen musste.
    Erneut flackerte ein Blitz auf und diesmal sah ich genau, was ich vorher erahnt hatte – nur für den Bruchteil einer Sekunde, aber ich war mir sicher: die schwarze Silhouette des Schuppens, in dem das Rudel seine Vorräte lagerte. Er stand ungefähr vierzig oder fünfzig Meter zu meiner Rechten, ein bisschen erhöht, wie auf einem Hügel. Wenn ich es bis dorthin schaffte, könnte ich Shelby die Tür vor der Nase zuknallen.
    Der Wald wurde wieder schwarz und Donner durchschnitt die Stille. Er war so laut, dass es in den paar Sekunden danach schien, als wären sämtliche anderen Geräusche aus der Welt hinausgesaugt worden.
    In dieser lautlosen Dunkelheit sprintete ich los, die Hände vor mir ausgestreckt, während ich verzweifelt versuchte, auf dem richtigen Weg zum Schuppen zu bleiben. Hinter mir hörte ich Shelby, ganz nah, unter ihren Pfoten zerbrach ein Zweig, als sie auf mich zusprang. Ich spürte ihre Nähe mehr, als dass ich sie hörte. Ihr Pelz streifte meine Hand. Ich stolperte weiter und dann
    fiel
    ich
    meine Hände griffen nur Luft
    endlose Schwärze
    abwärts
    Ich merkte nicht, dass ich schrie, bis mir der Atem stockte und der Laut abbrach. Ich traf auf etwas Eiskaltes, Hartes, und meine Lungen leerten sich auf einen Schlag. Mir blieb nur ein einziger Moment, um zu begreifen, dass es Wasser war, worin ich da gelandet war, bevor sich mein Mund damit füllte.
    Es gab kein Oben und Unten mehr, nur Schwarz. Nur Wasser, das in meinen Mund drang und meine Haut umschloss. Es war so kalt. So kalt. Vor meinen Augen explodierten Farben, nur ein Symptom in dieser Dunkelheit. Mein Gehirn, das nach Sauerstoff verlangte.
    Ich kämpfte mich an die Oberfläche und rang keuchend nach Luft. Mein Mund war voll mit knirschendem, flüssigem Schlamm. Ich spürte, wie er mir aus den Haaren über die Wangen rann.
    Donner grollte über mir, doch er schien aus weiter Ferne zu kommen; es war, als befände ich mich in einer Höhle. So heftig zitternd, dass ich es kaum schaffte, mich auszustrecken, tastete ich mit den Füßen nach dem Grund. Da – im Stehen reichte mir das Wasser bis zum Kinn. Es war eiskalt und dreckig, aber wenigstens konnte ich den Kopf über Wasser halten, ohne müde zu werden. Unkontrollierte Schauder ließen meine Schultern erbeben. Mir war so kalt.
    Und dann, nach kaum ein paar Sekunden in diesem Eiswasser, spürte ich es. Quälend langsam breitete sich Übelkeit in mir aus, wie ein Faden, der mir vom Magen in die Kehle hinaufkroch. Die Kälte. Sie nagte an mir, drängte meinen Körper, sich zu verwandeln.
    Aber ich durfte mich nicht verwandeln. Als Wolf müsste ich schwimmen, um den Kopf über Wasser zu halten. Und ich würde nicht ewig schwimmen können.
    Vielleicht konnte ich ja rausklettern. Halb schwimmend, halb stolpernd bewegte ich mich durch das eisige Wasser, tastete nach einem Ausweg. Es musste doch einen geben. Meine Finger stießen auf eine zerklüftete Wand aus Erde, vollkommen senkrecht und höher, als ich greifen konnte. Mein Magen zog sich zusammen.
    Nein, befahl ich mir selbst. Nein, du verwandelst dich nicht, nicht jetzt.
    Ich tastete mich an den Seiten entlang, suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Die Wände erstreckten sich endlos über mir. Ich versuchte, mich in ihnen festzukrallen, aber meine Finger drangen nicht in die harte Erde ein und die Wurzeln darin gaben unter meinem Gewicht nach und ließen mich zurück in den Schlamm fallen. Meine Haut prickelte, sowohl vor Kälte als auch wegen der bevorstehenden Verwandlung. Ich biss mir auf die gefrorene Unterlippe, um sie ruhig zu halten.
    Ich hätte um Hilfe rufen können, aber niemand hätte mich gehört.
    Doch was sollte ich sonst tun? Tatsache war: Wenn ich mich in einen Wolf verwandelte, würde ich sterben. Irgendwann würde ich nicht mehr schwimmen können. Mit einem Mal schien mir das eine grauenhafte Art zu sterben, ganz allein, in einem Körper, in dem mich niemand erkennen würde.
    Die Kälte zerrte an mir, strömte in meine Adern, setzte die Krankheit in mir frei. Nein, nein, nein. Aber ich konnte mich nicht mehr widersetzen; ich spürte das Pulsieren in meinen Fingern, während die Haut zuckend ihre Form änderte.
    Wasser spritzte um mich auf, als mein Körper zu zerreißen begann.
    Ich schrie Sams Namen hinaus in die Dunkelheit, bis ich nicht mehr wusste, was Sprechen war.

KAPITEL 18
SAM
    »Ah, das ist also der magische Ort«, sagte

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