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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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die er bereits als nutzlos verworfen hatte. »Meinst du, Beck würde sich freuen, wenn er wüsste, dass du seine Sachen durchsuchst?« Ich nahm der Frage mit einem Lächeln ihre Schärfe.
    Cole entgegnete: »Er ist ja nicht hier.« Dann aber schien er seine knappe Antwort noch einmal zu überdenken und fügte mit ernster Stimme hinzu: »Beck hat gesagt, er wollte, dass ich hier für ihn übernehme. Und dann ist er gegangen. Das ist der einzige Weg, wie ich irgendwas in Erfahrung bringen kann. Schlägt meiner Meinung nach die Neuerfindung des Rades um Längen.«
    »Wollte Beck nicht, dass Sam für ihn übernimmt?« Dann beantwortete ich meine eigene Frage. »Oh – ich schätze, er dachte, Sam verwandelt sich nicht mehr zurück. Darum hat er dich angeworben.«
    Na ja, darum hatte er zumindest überhaupt irgendjemanden angeworben. Warum er Cole im Speziellen ausgewählt hatte, war weniger klar. Es musste einen Punkt gegeben haben, an dem er den Typen, der jetzt vor mir lag, gesehen und gedacht hatte, dass er einen guten Rudelführer abgeben würde. An irgendeinem Punkt musste er etwas von sich selbst in Cole wiedererkannt haben. Ich meinte sogar, es erahnen zu können. Sam hatte Becks Gesten, aber Cole hatte … Becks starke Persönlichkeit? Sein Selbstbewusstsein? In Cole war etwas wie Becks Charakterstärke; während Sam warmherzig war, war Cole ein Getriebener.
    Wieder lachte Cole sein zynisches Lachen. Und wieder erkannte ich darin, dass seine draufgängerische Art nur aufgesetzt war. Es war wie bei Isabel, bei der ich erst lernen musste, den Zynismus auszublenden, um die Wahrheit zu hören: die Mutlosigkeit und Einsamkeit. Mir entgingen zwar immer noch viele der Nuancen, die Sam heraushörte, aber es war nicht so schwer, wenn man wusste, worauf man achten musste.
    »Anwerben, so ein nobles Wort«, sagte Cole, setzte sich auf und faltete die Beine zum Schneidersitz. »Da denkt man doch gleich an Männer in Uniform, die das geliebte Vaterland verteidigen. Beck wollte bloß nicht, dass ich sterbe. Deswegen hat er mich ausgewählt. Er dachte, ich bringe mich um, und er dachte, er könnte mich retten.«
    So leicht würde ich ihn nicht davonkommen lassen.
    »Jeden Tag bringen sich Leute um«, sagte ich. »Dreißigtausend Amerikaner im Jahr oder so. Glaubst du wirklich, er hat dich deswegen ausgewählt? Ich nicht. Das wäre doch unlogisch. Von allen Menschen auf der Welt wird er sich aus einem ganz bestimmten Grund für dich entschieden haben, wenn man bedenkt, dass du berühmt bist und damit ein ziemliches Risiko darstellst. Ich meine, denk doch mal logisch. Logisch. «
    Cole lächelte mich an, dieses urplötzliche, breite Lächeln, das in seiner Echtheit so anziehend war. »Ich mag dich«, sagte er. »Du darfst bleiben.«
    »Wo ist Sam?«
    »Unten.«
    »Danke«, sagte ich. »Hey – ist Olivia schon hier aufgetaucht?«
    Sein Blick veränderte sich nicht und zeigte seine Unwissenheit auf diese Weise deutlicher als alles, was er hätte sagen können. Mein Herz sank ein kleines Stückchen tiefer. »Wer?«, fragte er.
    »Eine andere Wölfin«, sagte ich. »Eine Freundin von mir, die letztes Jahr gebissen worden ist. So alt wie ich.«
    Die Vorstellung, dass sie noch irgendwo da draußen im Wald war und dasselbe durchmachte wie ich, quälte mich.
    In diesem Moment huschte etwas Neues über Coles Miene, zu schnell, als dass ich es hätte deuten können. So gut war ich einfach nicht im Gesichterlesen. Er sah weg, sammelte ein paar der Zettel ein, klopfte sie auf seinem Bein zu einem Stapel zusammen und ließ sie dann so nachlässig fallen, dass sie sofort wieder durcheinanderrutschten. »Hab sie nicht gesehen.«
    »Okay«, sagte ich. »Ich gehe dann mal Sam suchen.« Ich wandte mich Richtung Tür und eine eigenartige kleine Blase aus Nervosität wuchs in meinem Brustkorb. Sam war hier, ich war hier, ich steckte fest in meiner Haut. Ich würde wieder mit ihm zusammen sein. Plötzlich erfasste mich eine völlig irrationale Angst, dass ich ihm gegenüberstehen und mit einem Mal alles anders sein würde, auf welche Art auch immer. Dass das, was ich fühlte, nicht zu dem passen würde, was ich sah, oder dass er mittlerweile anders für mich empfand. Was, wenn wir wieder ganz von vorn anfangen mussten? Gleichzeitig jedoch erfüllte mich das Wissen, dass meine Ängste völlig unbegründet waren, und kurz darauf die Erkenntnis, dass sie nicht verschwinden würden, solange ich Sam nicht wiedergesehen hatte.
    »Grace«, sagte Cole, als

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