Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
Vom Netzwerk:
Zwischenfälle gäbe, bevor’s richtig losgeht. So sind die Jungs hier eben.« Letzteres war verbunden mit einer Geste in Richtung Mr Lundgren, als wäre der taub. »Na, wie gesagt, wir tun, was wir können.«
    Meine Mutter wirkte nicht unbedingt zufrieden. Ihr Tonfall war kühl, als sie erwiderte: »Das sage ich meinen Patienten auch immer.« Stirnrunzelnd sah sie mich an. »Isabel, fass das nicht an.«
    Als wäre meine Hand auch nur in die Nähe des Viehs gekommen. Ich kletterte wieder durch das Gras zu ihr hoch.
    »Sie haben doch heute Abend nicht etwa getrunken, oder, Doc?«, fragte Heifort, als Mom sich zum Gehen wandte. Er und Mom hatten genau denselben Blick aufgesetzt. Feindseligkeit mit Sirupüberzug.
    Meine Mutter schenkte ihm ein breites Lächeln. »Doch.« Sie hielt inne und ließ ihn erst mal darüber nachdenken. »Darum fährt ja auch Isabel. Komm jetzt, Isabel.«
    Wir stiegen ins Auto und die Tür war kaum hinter ihr zugefallen, als meine Mutter auch schon losschimpfte: »Diese Hinterwäldler. Ich hasse diesen Kerl. Wahrscheinlich hat mich das jetzt für immer von meiner philanthropischen Ader geheilt.«
    Das glaubte ich keine Sekunde lang. Das nächste Mal, wenn sie dachte, sie könnte helfen, würde sie ganz genauso aus dem Auto springen, noch bevor es zum Stehen gekommen war. Ob die Leute sie nun brauchten oder nicht.
    Wie es aussah, wurde ich meiner Mutter immer ähnlicher.
    »Dad und ich denken darüber nach, zurück nach Kalifornien zu ziehen«, sagte Mom jetzt. »Wenn das alles hier vorbei ist.«
    Es gelang mir gerade so, das Auto nicht vor den nächsten Baum zu setzen. »Und das wolltet ihr mir wann genau sagen?«
    »Wenn es etwas konkreter ist. Ich habe ein paar Jobangebote; kommt nur noch darauf an, wie die Arbeitszeiten aussehen und wie viel wir für das Haus bekommen werden.«
    »Noch mal«, sagte ich atemlos, »wann genau wolltet ihr mir das sagen?«
    Meine Mutter klang verdutzt. »Na ja, Isabel, du gehst doch sowieso bald aufs College und du hast nur zwei auf deiner Liste, die nicht da drüben sind. Das wäre doch viel bequemer, um uns mal zu besuchen. Ich dachte, du hasst Mercy Falls.«
    »Hab ich auch. Tu ich auch. Aber ich … ich kann einfach nicht glauben, dass ihr mir nichts davon gesagt habt, bevor –« Ich war mir nicht sicher, wie ich den Satz beenden sollte, also sagte ich nichts mehr.
    »Bevor was?«
    Entnervt warf ich eine Hand in die Luft; ich hätte beide gehoben, aber eine musste ich ja am Lenkrad lassen. »Nichts. Kalifornien. Toll. Juhu.« Ich stellte es mir vor – wie ich meine monsterdicken Mäntel in Kisten stopfte, wieder so was wie soziale Kontakte hatte, an einem Ort lebte, wo nicht jeder die Horrorgeschichte meines toten Bruders kannte. Wie ich Grace und Sam und Cole gegen ein Leben voller Verabredungen übers Handy, Durchschnittstemperaturen von 23 Grad und Lehrbücher eintauschte. Meine Mutter hatte recht, in Kalifornien aufs College zu gehen, irgendwann in ferner Zukunft, das war immer mein Plan gewesen. Tja, es schien, als wäre die Zukunft weitaus näher, als ich gedacht hatte.
    »Ich fasse es einfach nicht, dass dieser Mann einen Kojoten für einen Wolf gehalten hat«, lästerte meine Mutter, als ich in die Einfahrt einbog. Ich wusste noch genau, wie es gewesen war, als wir hierherzogen. Das Haus war mir erschienen wie aus einem Gruselfilm. Jetzt sah ich, dass ich das Licht in meinem Zimmer im zweiten Stock angelassen hatte, und das Ganze bot ein Bild wie aus einem Kinderbuch, eine riesige alte Villa mit einem einzigen gelben Fenster unter dem Dach. »Die sehen sich doch nicht im Entferntesten ähnlich.«
    »Na ja«, sagte ich, »manche Leute sehen eben nur das, was sie sehen wollen.«

KAPITEL 27
GRACE
    Ich fand Sam auf der Veranda vor dem Haus, wo er am Geländer lehnte, ein langer schwarzer Schatten, kaum zu sehen in der Dunkelheit. Es war bemerkenswert, wie Sam, nur durch die Beugung seiner Schultern und die Art, wie er das Kinn senkte, so viel Emotion vermitteln konnte. Selbst für jemanden wie mich, jemanden, der fand, ein Lächeln war ein Lächeln war ein Lächeln, waren seine Frustration und Traurigkeit leicht zu erkennen, an der Krümmung seines Rückens, dem Winkel seines Knies, an der Art, wie er einen seiner schmalen Füße auf die Kante gekippt hatte.
    Plötzlich ergriff mich Schüchternheit und ich war wieder so unsicher und aufgeregt wie bei unserer allerersten Begegnung.
    Ohne das Außenlicht einzuschalten, stellte ich mich zu ihm ans

Weitere Kostenlose Bücher