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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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der Stadt wäre?«
    »Mit Verlaub, Ma’am«, entgegnete Koenig, »wenn Geoffrey Beck in der Stadt wäre, dann wäre wahrscheinlich er derjenige, dem wir die Fragen stellen.«
    Karyn presste die Lippen aufeinander und machte ein unglückliches Gesicht. Koenig trat aus dem mittleren Gang und deutete auf die Ladentür. Jetzt konnte ich sehen, dass davor ein Polizeiwagen in zweiter Reihe geparkt stand und auf uns wartete.
    Ich war Karyn unendlich dankbar dafür, dass sie sich so für mich einsetzte. Dass sie sich so bemühte, als wäre sie für mich verantwortlich. Sie wandte sich an mich. »Sam, ruf mich an. Wenn du irgendwas brauchst. Wenn du dich unwohl fühlst. Soll ich vielleicht mitkommen?«
    »Ich komme schon klar«, wiederholte ich.
    »Ihm passiert nichts«, schaltete sich Koenig ein. »Wir haben nicht vor, irgendjemanden in die Ecke zu drängen.«
    »Tut mir leid, dass ich gehen muss«, sagte ich zu Karyn. Normalerweise kam sie am Samstagmorgen nur für ein paar Stunden und überließ den Laden dann dem Mitarbeiter, der gerade da war. Jetzt hatte ich ihr den ganzen Tag ruiniert.
    »Ach, Sam. Du kannst doch nichts dafür«, sagte Karyn. Sie kam auf mich zu und drückte mich an sich, fest. Sie duftete nach Hyazinthen. Zu Koenig sagte sie – und Business-Karyn verblasste, als sich ein unverhohlen vorwurfsvoller Ton in ihre Stimme schlich -: »Ich hoffe, ihr wisst, was ihr da tut.«
    Koenig führte mich zur Eingangstür. Mir war überdeutlich bewusst, dass die Frau mit der riesigen lila Tasche mich beobachtete, das Handy noch immer am Ohr. Die Lautstärke war so hoch eingestellt, dass ich hörte, wie eine Frauenstimme am anderen Ende fragte: »Nehmen die ihn jetzt fest?«
    »Sam«, sagte Koenig. »Sagen Sie einfach nur die Wahrheit.«
    Er hatte keine Ahnung, was er da von mir verlangte.

KAPITEL 36
COLE
    Nachdem ich das Haus der Culpepers verlassen hatte, fuhr ich einfach drauflos. Ich hatte Ulriks alten BMW, ein bisschen Geld dabei und niemanden, der mir sagte, ich sollte nicht fahren.
    Im Radio lief ein Song von einer Band, die einmal als Vorgruppe bei uns gespielt hatte. Die Typen waren so was von fertig gewesen, dass selbst ich mich im Vergleich zu ihnen regelrecht tugendhaft gefühlt hatte, und das war zu dieser Zeit schon eine ziemliche Leistung. Ich hätte ihnen dafür danken sollen, dass sie uns so gut aussehen ließen. Der Sänger hieß Mark oder Mike oder Mack oder Abel oder so was in der Richtung. Nach dem Konzert war er zu mir gekommen, stinkbesoffen, und hatte mir gesagt, ich sei sein größtes Vorbild. Wie es aussah, in jeglicher Hinsicht.
    Jetzt, eine Million Jahre später, hörte ich, wie der DJ die Single als den einzigen Hit der Band beschrieb. Ich fuhr weiter. Sams Handy steckte immer noch in meiner Tasche und es klingelte nicht, aber ausnahmsweise war mir das mal egal. Ich hatte das Gefühl, Isabel diesmal eine Nachricht hinterlassen zu haben, die keinen Rückruf erforderte. Es reichte aus, dass ich es ihr gesagt hatte.
    Ich hatte die Scheibe runtergekurbelt und streckte den Arm aus dem Fenster, sodass der Wind daran zerrte und meine Handfläche feucht wurde vom Morgennebel. Die Landschaft von Minnesota erstreckte sich zu beiden Seiten der zweispurigen Straße. Struppige Kiefern und Häuser mit Flachdach, wahllos aufeinandergetürmte Felsen und plötzlich hinter Bäumen aufblitzende Seen. Es wirkte, als hätten die Einwohner von Mercy Falls einhellig beschlossen, im Ausgleich für all die Schönheit der Natur, die sie umgab, besonders hässliche Häuser zu bauen. Damit die ganze Chose ihnen nicht plötzlich vor lauter Idylle um die Ohren flog oder was weiß ich.
    Immer wieder musste ich an das denken, was ich zu Isabel gesagt hatte – dass ich darüber nachdachte, meine Familie anzurufen. Es war mehr oder weniger die Wahrheit gewesen. Aber allein die Vorstellung, meine Eltern anzurufen, kam mir unmöglich vor, regelrecht unverdaulich. In dem Mengendiagramm, das mich und sie darstellte, war der überlappende Teil der beiden Kreise, unsere Schnittmenge, leer.
    Aber daran, Jeremy anzurufen, dachte ich wirklich. Jeremy, unser Yogi-Bassist vom Dienst. Was er jetzt wohl ohne Victor und mich machte? Ich stellte mir gerne vor, dass er sein Geld dafür benutzt hatte, eine Rucksacktour durch Indien zu machen oder so was in der Art. Die Sache mit Jeremy, der Grund, warum ich kurz davor war, ihn und niemand anderen anzurufen, war, dass er und Victor mich immer besser gekannt hatten als jeder andere. Das

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