In deinen Augen
für Chaos in Juneau?«
Ich zog eine Grimasse. »Ich hab so das Gefühl, Minnesota ist ganz froh, dass es sein eigenes Alaska-Thema erst mal wieder hinter sich hat.«
»Stimmt. Da ist was dran.«
Ich dachte an meine Gitarre, das Nordlicht über meinem Kopf, die Songs, die ich noch über die vergangenen Tage schreiben musste.
»Musikbiografien«, sagte ich. »Das gäbe ein schönes Schaufenster.«
Karyn deutete mit ihrem Bleistift auf mich. »Der Punkt geht an den Herrn.« Sie ließ den Stift wieder sinken und tippte damit auf den Brief, der vor ihr lag, eine Geste, die mich urplötzlich an Grace erinnerte. »Sam, ich weiß, dass Beck … krank ist, und wahrscheinlich hast du gerade ganz andere Dinge im Kopf, aber hast du schon mal darüber nachgedacht, auf welches College du gehen willst?«
Überrascht über diese Frage blinzelte ich und verschränkte die Arme – die sie nun musterte, als wären sie Teil meiner Antwort. »Ich hab noch nicht viel darüber nachgedacht«, erwiderte ich. Aber ich wollte auch nicht, dass sie mich für unmotiviert hielt, also fügte ich hinzu: »Ich warte noch ab, wo Grace hingehen will.«
Einen halben Augenblick später wurde mir klar, dass diese Antwort problematisch war, und zwar aus mindestens drei verschiedenen Gründen, von denen der wichtigste war, dass Grace offiziell immer noch als vermisst galt.
Karyn jedoch sah mich weder mitleidig noch verwirrt an. Sie bedachte mich nur mit einem langen, nachdenklichen Blick, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst und den Daumen ans Kinn gelegt. In dem Moment kam es mir vor, als wüsste sie, woher auch immer, über uns Bescheid und als wäre das Ganze hier nicht mehr als ein Theaterstück, das Beck und ich zusammen mit ihr aufführten.
Frag nicht.
Sie sagte: »Ich hab nur nachgedacht. Wenn du nämlich nicht gleich weggehen würdest zum College, dann würde ich dich fragen, ob du Vollzeit hier anfangen möchtest.«
Das war nicht das, was ich zu hören erwartet hatte, also gab ich erst mal keine Antwort.
Karyn fuhr fort: »Ich weiß, was du denkst – reich wirst du damit nicht. Aber ich würde deinen Stundenlohn um zwei Dollar erhöhen.«
»Das kannst du dir doch gar nicht leisten.«
»Du verkaufst eine Menge Bücher für mich. Ich hätte einfach ein besseres Gefühl, wenn ich wüsste, dass es immer du bist, der hinter dieser Theke steht. Jeder Tag, an dem du auf diesem Hocker sitzt, ist ein Tag, an dem ich mir keine Sorgen darüber machen muss, was hier los ist.«
»Ich –« Wirklich, ich war dankbar für das Angebot. Nicht weil ich das Geld brauchte. Aber das Vertrauen. Mein Gesicht fühlte sich warm an, kurz vor einem Lächeln.
Karyn ergänzte: »Ich meine, ein schlechtes Gewissen habe ich schon, wenn ich versuche, dich noch ein Jahr vom College fernzuhalten, aber wenn du sowieso warten wolltest …«
In diesem Moment klingelte die Ladenglocke. Einer von uns beiden würde aufstehen und hingehen müssen und darüber war ich froh. Nicht weil mir das Gespräch unangenehm war, sondern weil das Gegenteil der Fall war. Ich brauchte einen Augenblick, um das alles zu verarbeiten, um es eine Armlänge von mir wegzuhalten, sodass ich mir meines Gesichtsausdrucks und meiner Worte sicher sein konnte, wenn ich wieder etwas sagte. Aber ich fühlte mich undankbar und reagierte zu langsam. Ich fragte: »Kann ich darüber nachdenken?«
»Es hätte mich gewundert, wenn du das nicht gewollt hättest«, entgegnete Karyn. »So gut kenne ich dich inzwischen, Sam.«
Ich grinste sie an und wandte mich ab, um nach vorn in den Laden zu gehen, und das war der Grund, warum ich lächelte, als ich dem Polizisten gegenübertrat.
Mein Lächeln verblasste. Nein, eigentlich lag es sogar einen Moment zu lange auf meinen Lippen, die mit ihrer Aufwärtskrümmung noch immer ein Gefühl zeigten, das bereits Sekunden zuvor verschwunden war. Der Polizist konnte aus allen möglichen Gründen hier sein. Vielleicht wollte er mit Karyn reden. Vielleicht wollte er ein Buch kaufen. Aber ich wusste, dass es nicht so war. letzt erkannte ich, dass es William Koenig war. Koenig war jung, unaufdringlich, vertraut. Ich hätte gern geglaubt, dass unsere früheren Begegnungen sich zu meinem Vorteil auswirkten, aber sein Gesicht verriet mir alles, was ich wissen musste. Er trug die absichtlich ausdruckslose Miene von jemandem zur Schau, der seine frühere Freundlichkeit mittlerweile bereute.
»Sie sind ja nicht leicht zu finden, Sam«, sagte Koenig, als ich
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