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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Band um die Taille geschlungen. Der Stoff war mit etwas verziert, das, wie ich zu wissen meinte, Lochstickerei hieß. Ich stellte mir Grace in dem Kleid vor, die schmalen Träger über den Schultern, unterhalb des Halses ein Dreieck nackter Haut, der Saum knapp über dem Knie. Ich konnte mir ihre Hüften unter dem dünnen Stoff ausmalen und wie meine Hände ihn in ihrem Rücken zu einem Bündel zusammennahmen, wenn ich sie an mich zog. Es war ein Kleid, das Sorglosigkeit ausstrahlte und Bilder von Sommer und knöchelhohem Gras und blondem, von einer beherzten Sonne ausgebleichtem Haar heraufbeschwor.
    Eine ganze Weile stand ich da und starrte es an, wünschte mir das, wofür es stand. Es kam mir so dumm vor, an solche Dinge zu denken, wo doch so viel auf dem Spiel stand. Dreimal war ich kurz davor, mich abzuwenden, weiterzugehen. Und jedes Mal hielt mich dieses Bild von Grace – wie der Wind den Saum des Kleids anhob und den Stoff flach gegen ihren Bauch und ihre Brüste drückte – doch vor dem Schaufenster fest.
    Ich kaufte das Kleid. Ich hatte vier Zwanziger in meinem Portemonnaie – Karyn hatte mich letzte Woche bar bezahlt – und verließ den Laden mit nur noch einem davon und einer kleinen Tüte, in der das Kleid schlummerte. Nachdem ich kurz zurückgegangen war, um es ins Auto zu legen, machte ich mich schließlich auf den Weg zum Crooked Shelf, den Blick auf den Gehweg vor mir gerichtet, erfüllt von der Wärme und Unsicherheit, ein Geschenk gekauft zu haben, das mehr kostete, als ich an einem Arbeitstag verdiente. Was, wenn es ihr nicht gefiel? Vielleicht hätte ich mein Geld lieber für einen Ring sparen sollen. Aber selbst wenn sie es ernst gemeint hatte und mich wirklich heiraten wollte, was an sich schon ziemlich unmöglich schien, kam mir ein Ring wie etwas weit Entferntes vor. Ich hatte keine Ahnung, was so etwas kostete, also sollte ich vielleicht wirklich langsam anfangen zu sparen. Was, wenn ich ihr erzählte, dass ich ein Geschenk für sie hatte, und sie einen Ring erwartete und dann enttäuscht war? Ich fühlte mich wie der älteste und zugleich wie der jüngste Neunzehnjährige auf der ganzen Welt – wieso dachte ich plötzlich über Ringe nach und wieso hatte ich nicht schon viel früher damit angefangen? Und praktisch, wie sie nun mal veranlagt war, war Grace vielleicht sogar sauer, dass ich ihr ein Geschenk gekauft hatte, anstatt etwas wegen der Jagd zu unternehmen.
    Mit all diesen Gedanken rang ich, als ich schließlich die Buchhandlung betrat. Mein Geist war so weit von meinem Körper entfernt, dass mir der Laden wie ein einsamer, zeitloser Ort vorkam, als ich ihn aufschloss. Es war Samstag und so kam eine Stunde später Karyn durch den Hintereingang und verschanzte sich direkt im winzigen Hinterzimmer, um sich den Bestellungen und der Buchhaltung zu widmen. Karyns und meine Beziehung war unproblematisch; es war schön zu wissen, dass sie im Laden war, auch wenn wir nicht miteinander sprachen.
    Kunden waren noch keine da und ich fühlte mich unruhig, also ging ich irgendwann zu ihr. Die Sonne drang jetzt mit aller Kraft durch die vorderen Fenster und streckte ihre langen Finger bis nach hier hinten aus. Sie erfüllte mich mit ihrer angenehmen Wärme, als ich stehen blieb und mich in den Türrahmen lehnte.
    »Hi«, sagte ich.
    Karyn saß bereits in einem Nest aus Rechnungen und Buchkatalogen. Mit ihrem freundlichen Lächeln sah sie zu mir hoch. Ich fand sowieso alles an Karyn freundlich – sie war eine dieser Frauen, die sich immer wohl in ihrer Haut zu fühlen schienen, ob sie nun Jeans oder Juwelen trugen. Und falls sie irgendwie anders über mich dachte, seit Grace verschwunden war, ließ sie es mich zumindest nicht merken. Ich wünschte, ich könnte ihr sagen, wie sehr ich das von ihr gebraucht hatte, diese unveränderte Freundlichkeit. »Du siehst ja fröhlich aus«, begrüßte sie mich.
    »Wirklich?«
    »Fröhlicher jedenfalls. Und, wie lief es diese Woche?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »War ziemlich ruhig. Ich hab gefegt. Und die winzigen Handabdrücke von den Schaufenstern gewischt.«
    »Ach, Kinder, wer braucht die schon?«, entgegnete Karyn. Es war eine rhetorische Frage. Sie überlegte. »Wenn es nur endlich wärmer werden würde, dann würden auch mehr Leute kommen. Oder wenn diese Tate-Flaugherty-Fortsetzung schon rauskäme. Dann würden sie in Scharen hier reinströmen. Vielleicht sollten wir das große Schaufenster dafür dekorieren. Was meinst du, ein Alaska-Thema

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