In deinen Augen
zum Flur und durch das sah ich Tom Culpeper. Er spielte mit den Schlüsseln in der Tasche seiner Outdoorjacke – eine von der Art, neben denen in Katalogen immer Sachen wie rustikaler Charme, sportlicher Schnitt und vierhundert Dollar standen und die sehr beliebt unter Leuten waren, die wesentlich mehr Zeit im Büro verbrachten als draußen. Sein Gesicht hatte das graue, eingefallene Aussehen von jemandem, der nicht geschlafen hatte, aber seine Stimme klang ruhig und kontrolliert. Eine Anwaltsstimme.
Ich überlegte, was schlimmer war: die Begegnung mit Culpeper zu riskieren oder den Kotzgeruch in der Küche weiter zu ertragen. Ich war kurz davor, mich für den Rückzug zu entscheiden.
Heifort rief: »Tom! Na, du alter Haudegen! Warte kurz, ich lass dich rein.« Damit rauschte er aus der Zentrale, um die Flurbiegung zu dem Vorraum, in dem Culpeper sich befand, und öffnete ihm die Tür. Freudig klopfte er ihm auf die Schulter. Natürlich, sie kannten sich. »Bist du geschäftlich hier oder wolltest du den Laden bloß ein bisschen aufmischen?«
»Wollte mich nur nach dem Bericht des Rechtsmediziners erkundigen«, antwortete Culpeper. »Was hatte Geoffrey Becks Junge denn dazu zu sagen?«
Heifort trat einen Schritt zurück, sodass Culpeper mich sehen konnte.
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte Culpeper.
Höflich wäre es gewesen, wenigstens Hallo zu sagen. Ich sagte gar nichts.
»Wie geht’s deinem alten Herrn?«, fragte Culpeper. Die Frage triefte vor Ironie, nicht nur, weil klar war, dass es ihm völlig egal war, sondern auch, weil Culpeper so gar nicht der Typ war, der jemandes Vater als alten Herrn bezeichnen würde. Es war also offensichtlich, dass er das sarkastisch meinte. Er fügte hinzu: »Überrascht mich ja schon, dass er nicht mit dir hier ist.«
Meine Stimme klang steif. »Das wäre er, wenn er könnte.«
»Ich habe mich eben noch mit Lewis Brisbane unterhalten«, sagte Culpeper. »Wo wir gerade beim Thema rechtlicher Beistand sind. Die Brisbanes wissen jedenfalls, dass ich für sie da bin, wenn sie mich brauchen.«
Die Folgen, wenn Tom Culpeper Anwalt und Vertrauensperson für Grace’ Eltern spielte, mochte ich mir gar nicht ausmalen. Die Aussicht auf ein freundschaftliches Verhältnis in der Zukunft rückte so jedenfalls in weite Ferne. Ach was, die Möglichkeit auf irgendeine Zukunft für mich rückte damit in weite Ferne, Punkt.
»Du hast sie tatsächlich nicht mehr alle, oder?«, sagte Tom Culpeper mit etwas wie Verwunderung in der Stimme, und mir wurde klar, dass ich zu lange geschwiegen hatte und nicht wusste, was sich in der Zwischenzeit auf meinem Gesicht abgespielt hatte, während ich mich in meiner Bestürzung verlor. Er schüttelte den Kopf, weniger grausam als vielmehr fasziniert von einem solch seltsamen Außenseiter. »Nur so als Tipp: Plädier am besten auf unzurechnungsfähig, damit könnte es klappen, dem amerikanischen Rechtssystem sei Dank. Meine Güte, Beck pickt sich aber auch immer die größten Psychopathen raus.«
Man musste Heifort zugutehalten, dass er wenigstens versuchte, sein Lächeln zu unterdrücken.
Koenig klappte sein Handy zu. Seine Augen waren schmal. »Meine Herren«, sagte er, »ich bringe Mr Roth jetzt zurück zur Arbeit, es sei denn, Sie brauchen ihn noch.«
Heifort schüttelte den Kopf, langsam und Unheil verkündend.
Culpeper dagegen wandte sich mir noch einmal zu, die Hände in den Taschen. In seiner Stimme lag keinerlei Wut. Natürlich nicht, wieso auch? In diesem Spiel hatte eindeutig er das bessere Blatt. »Wenn du deinen Vater das nächste Mal siehst«, beauftragte er mich, »sag ihm, dass seine Wölfe in vierzehn Tagen Geschichte sind. Das hätte schon längst passieren sollen. Ich weiß ja nicht, was ihr da alle für ein Spielchen spielt, aber das hat auf jeden Fall bald ein Ende.«
Er sah mir hinterher und ich erkannte keine Rachsucht in seinem Blick. Nur eine blutende Wunde, die in letzter Zeit zu oft aufgerissen war, um jemals richtig heilen zu können. Wie hätte ich ihn verurteilen können? Er kannte schließlich die Wahrheit nicht. Woher sollte er? Er hielt die Wölfe nun mal für nichts weiter als Tiere und uns für unvorsichtige Nachbarn mit fragwürdigen Idealen.
Doch eins war mir klar: Es würde nicht aufhören, bis wir tot waren.
Koenig nahm mich beim Arm und sah sich über die Schulter zu Culpeper um. »Ich fürchte, Sie verwechseln hier den Vater mit dem Sohn, Mr Culpeper.«
»Mag sein«, entgegnete Culpeper. »Aber Sie
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