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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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wissen ja, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.«
    Culpeper wusste gar nicht, wie recht er damit hatte.
    »Gehen wir«, sagte Koenig.

KAPITEL 38
GRACE
    Sam war immer noch nicht zu Hause. Ich würde mir keine Sorgen machen.
    Ohne ihn fühlte ich mich rastlos und nutzlos in Becks Haus – als Wolf fiel es mir zumindest nicht so auf, dass ich keinerlei Aufgaben, keinerlei Ziel hatte. Noch nie zuvor war mir klar geworden, was für ein großer Teil meines Tages früher mit Hausaufgaben ausgefüllt gewesen war, mit Kochen und Telefonieren mit Rachel und noch mehr Hausaufgaben und Olivia und der Bücherei und mit Dingen wie die lose Diele an der Veranda festzunageln, weil Dad sowieso nie dazu kam. Lesen, das war eine Belohnung für getane Arbeit, und ohne gearbeitet zu haben, konnte ich mich nicht mit einem Buch entspannen, auch wenn Becks Keller voll davon war.
    Alles, worüber ich früher nachgedacht hatte, war, dass meine Noten gut genug waren, damit ich mir keine Sorgen machen musste, welches College mich annehmen würde. Und dann, als ich Sam kennenlernte, kamen noch meine Bemühungen dazu, ihn menschlich zu halten.
    Jetzt konnte ich mit nichts davon mehr etwas anfangen.
    Ich hatte so viel Freizeit, dass das Wort Freizeit seine Bedeutung verlor. Ich fühlte mich wie in den Schulferien. Meine Mom hatte mal gesagt, ich könnte mit Stillstand nicht umgehen und dass man mir nach der Schule eigentlich Beruhigungsmittel verabreichen müsste. Damals hatte ich diese Aussage ein bisschen hart gefunden, aber jetzt schien durchaus etwas Wahres daran zu sein.
    Ich wusch die sechs Kleidungsstücke, die ich hier bei Beck hatte, spülte den Berg Geschirr, der sich in der Küche angesammelt hatte, und rief schließlich Isabel an, weil ich niemand sonst anrufen konnte, und wenn ich nicht mit jemandem redete, würde ich nur wieder wegen Olivia weinen und damit war ja auch keinem geholfen.
    »Sag mir noch mal, warum es so eine schlechte Idee ist, Rachel zu sagen, dass ich am Leben bin«, sagte ich, sobald Isabel ans Telefon gegangen war.
    »Weil sie dann ein Riesentheater macht und ihre Eltern was mitkriegen und dann schafft sie es nicht zu lügen und am Ende weiß es jeder«, antwortete Isabel. »Noch Fragen? Nein? Gut.«
    »Rachel kann auch vernünftig sein.«
    »Sie hat gerade erst erfahren, dass eine ihrer Freundinnen von Wölfen zerfleischt wurde. Ich glaube nicht, dass Vernunft bei ihr gerade höchste Priorität hat.«
    Ich sagte nichts. Das Einzige, was mich vor einem Zusammenbruch schützte, war, Olivias Tod so abstrakt wie möglich zu halten. Wenn ich daran dachte, wie es passiert war, dass es ganz sicher nicht schnell gegangen war, dass sie das alles nicht verdient hatte – wenn ich daran dachte, wie es gewesen war, im Schnee zu liegen, umringt von Wölfen, die mir die Haut von den Knochen reißen wollten, wenn ich mir vorstellte, Sam wäre nicht da gewesen, um sie aufzuhalten – dann konnte ich es einfach nicht fassen, was Isabel da gerade gesagt hatte. Am liebsten hätte ich gleich wieder aufgelegt. Das Einzige, was mich davon abhielt, war das Wissen, dass ich dann ganz allein mit dem Bild von Olivias Tod wäre, das wieder und wieder durch meinen Kopf geisterte.
    Isabel sagte: »Zumindest war das bei mir so, als Jack gestorben ist. Als vernünftig hätte ich mich da nicht gerade bezeichnet.«
    Ich schluckte.
    »Grace, nimm’s doch nicht so persönlich. Das ist einfach eine Tatsache. Und je eher du dich mit den Tatsachen arrangierst, desto schneller geht’s dir besser. Und jetzt hör auf, darüber nachzugrübeln. Warum willst du es Rachel überhaupt sagen?«
    Ich blinzelte, bis ich wieder klare Sicht hatte. Zum Glück war Cole nicht hier. Er hielt mich anscheinend für Wonderwoman und ich war nicht wild drauf, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Niemand außer Sam durfte wissen, was für ein Bündel Elend ich wirklich war, denn das war nicht schlimmer, als wenn ich es wusste. »Weil sie meine Freundin ist und ich nicht will, dass sie mich für tot hält«, antwortete ich Isabel. »Und weil ich verrückterweise gern mit ihr reden würde! Sie ist nämlich nicht ganz so doof, wie du denkst.«
    »Ach, wie rührend«, erwiderte Isabel. Ich glaube, sie meinte es nicht böse. »Du wolltest, dass ich dir sage, warum es eine schlechte Idee ist, und das hab ich getan. So lautet nun mal meine Antwort.«
    Ich stieß einen Seufzer aus. Er klang zittrig und verriet mehr von meinem Unglück, als mir lieb war.
    »Na schön«, fauchte

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