In deinen Augen
tun würde. Stattdessen habe ich den starken Eindruck, dass ich meine geistige Gesundheit vor Ihnen verteidigen soll. Was weiß denn ich, was Sie denken, wozu ich fähig bin? Beschuldigen Sie mich, irgendwelche Mädchen entführt zu haben? Oder meinen Vater getötet? Oder wollten Sie mir einfach nur mal mitteilen, wie verkorkst ich Ihrer Meinung nach bin?«
»Jetzt mal ganz langsam«, sagte Heifort. »Ich beschuldige Sie wegen gar nichts, Mr Roth. Sie brauchen also nicht so aufbrausend zu werden, hier versucht niemand, Ihnen für irgendwas die Schuld in die Schuhe zu schieben.«
Jetzt hatte ich kein schlechtes Gewissen mehr, weil ich ihn belogen hatte – schließlich tat er dasselbe. Wenn der mir nichts in die Schuhe schieben wollte, was dann?
»Was wollen Sie denn von mir hören?« Ich schob ihm die Fotos des Mädchens – von Olivia – zurück über den Tisch. »Das da ist schrecklich. Aber ich habe nichts damit zu tun.«
Heifort ließ die Fotos liegen, wo sie waren. Er drehte sich in seinem Stuhl um, um Koenig einen vielsagenden Blick zuzuwerfen, aber Koenigs Gesichtsausdruck veränderte sich kein bisschen. Dann wandte er sich wieder zu mir um und sein Stuhl ächzte und quietschte unter der Last. Er rieb sich über den Tränensack eines seiner Augen. »Ich will wissen, wo Geoffrey Beck und Grace Brisbane sind, Samuel. Ich mache das hier schon lange genug, um zu wissen, dass es solche Zufälle nicht gibt. Und jetzt raten Sie mal, was der gemeinsame Faktor bei all diesen Punkten ist: Sie.«
Ich sagte nichts. Der gemeinsame Faktor war nicht ich.
»Also, wollen Sie nun kooperieren und mir ein paar Informationen liefern oder muss ich es auf die harte Tour versuchen?«, fragte Heifort.
»Ich habe keine Informationen für Sie.«
Heifort starrte mich eine Weile an, als wartete er darauf, dass mein Gesicht ihm irgendetwas verriet. »Meiner Meinung nach hat Ihr Daddy Ihnen keinen Gefallen damit getan, Ihnen dieses Anwaltsgefasel beizubringen«, sagte er schließlich. »Ist das alles, was Sie zu sagen haben?«
Ich hatte noch eine ganze Menge zu sagen, aber nicht ihm. Wenn es Koenig gewesen wäre, der mich gefragt hätte, hätte ich ihm erzählt, wie sehr ich darunter litt, dass Grace verschwunden war. Dass ich Beck wiederhaben wollte. Dass er nicht mein Pflegevater war, sondern mein Vater. Dass ich nicht wusste, was mit Olivia passiert war, sondern einfach nur versuchte, selbst den Kopf über Wasser zu halten. Ich wollte, dass sie mich in Ruhe ließen. Das war alles. Lasst mich einfach nur in Ruhe, damit ich das Ganze allein verarbeiten kann.
»Ja«, sagte ich.
Heifort sah mich stirnrunzelnd an. Ich wusste nicht, ob er mir glaubte oder nicht. Nach ein paar Sekunden sagte er: »Für heute sind wir wohl fertig. William, kümmerst du dich um ihn?«
Koenig nickte knapp, während Heifort sich vom Tisch hochstemmte. Das Atmen fiel mir schon ein bisschen leichter, als ich Heifort den Flur hinuntergehen hörte.
»Ich bringe Sie zurück zur Buchhandlung«, erklärte Koenig. Mit einer knappen, effizienten Geste bedeutete er mir aufzustehen. Ich kam der Aufforderung nach, überrascht – aus welchem Grund auch immer –, dass der Boden unter mir nicht nachgab. Meine Füße fühlten sich ein bisschen an, als wären sie aus Gelee.
Ich folgte Koenig aus der Küche, der jedoch kurz darauf stehen blieb, weil sein Handy klingelte. Er zog es aus seinem Polizeigürtel und warf stirnrunzelnd einen Blick aufs Display.
»Einen Moment«, sagte er dann zu mir. »Da muss ich rangehen. Hallo, William Koenig hier. Okay, Sir. Moment, was genau ist passiert?«
Ich steckte die Hände in die Taschen. Ich fühlte mich benommen, erschöpft von der Befragung, vor Hunger, von Olivias Anblick. Durch die offene Tür der Telefonzentrale zu meiner Linken hörte ich Heiforts dröhnende Stimme. Die Telefonistinnen lachten über etwas, was er gesagt hatte. Seltsam, wie einfach er umschalten konnte – rechtschaffene Wut über den Tod eines jungen Mädchens im einen Moment, Bürowitzeleien im nächsten.
Koenig versuchte, den Mann am Telefon davon zu überzeugen, dass es kein Diebstahl war, wenn seine Noch-Ehefrau das gemeinsame Auto benutzte.
Dann hörte ich: »Hey, Tom.«
Es musste Dutzende von Toms in Mercy Falls geben. Dennoch wusste ich sofort, um welchen davon es sich hier handelte. Ich erkannte ihn an seinem Aftershave und daran, wie meine Nackenhaare sich aufstellten.
Die Telefonzentrale hatte auf der gegenüberliegenden Seite ein Fenster
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